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GESTERN, HEUTE: Nicht mehr wiederzuerkennen: früher trostlos, heute trendy

ZEITREISEDieser Ort wollte sich einfach nicht einfügen ins Grau der Umgebung. Schon die verspielten Formen, die an der Oranienburger-/Ecke Krausnickstraße den Eingang des Krausnick-Clubs markierten, bedeuteten ein Aufbegehren gegen den sozialistischen Alltag.

ZEITREISE

Dieser Ort wollte sich einfach nicht einfügen ins Grau der Umgebung. Schon die verspielten Formen, die an der Oranienburger-/Ecke Krausnickstraße den Eingang des Krausnick-Clubs markierten, bedeuteten ein Aufbegehren gegen den sozialistischen Alltag. 1981 schoss Fotograf Udo Hesse diese Aufnahme, zu finden in seinem Fotoband „Als noch Osten war. Fotografien aus Berlin-Mitte, Prenzlauer Berg und Köpenick in den achtziger Jahren“ (Berlin Story Verlag, 80 Seiten, 19,80 Euro). Zwei Jahre später wurde die Berliner Punkband Feeling B gegründet, im KrausnickClub hatte sie einen ihrer ersten Auftritte. Zwei Gründungsmitglieder, Gitarrist Paul H. Landers und Keyboarder Christian „Flake“ Lorenz, sowie der vorübergehend für Feeling B trommelnde Christoph Schneider sind noch schwer im Geschäft – bei Rammstein. An deren düsteren Brachialstil denkt man zuletzt, wenn man heute vor der Hausecke steht: Im Souterrain der alten Clubräume wirbt das Restaurant Strichmann mit dem Slogan „Entspannt schlemmen“, und die Umgebung gehört zu den ersten Anlaufpunkten für amüsierlustige, hungrige Touristen und Einheimische.

DER STILLE STADTTEIL

Einmal Regierungsbezirk, immer Regierungsbezirk. Mitte war stets Berlins bedeutungsvollster Stadtteil. Zu Mauerzeiten residierten in AltMitte ZK und Ministerien. Dort war auch der kulturelle Mittelpunkt Ost-Berlins: Deutsches Theater, Berliner Ensemble, Metropol, Friedrichstadtpalast. Der heutige Touristenkiez aber, das „Scheunenviertel“, war tot: bröckelnde Gründerzeithäuser, eine stille Oranienburger Straße. Der Hackesche Markt: Fabrikgelände. Mitte, auf drei Seiten von der Mauer umgeben, lag im Dauerschlaf. Erst 1987 war zum Beispiel das Vorzeigeobjekt Nikolaiviertel fertig saniert. Ein Jahr später wurde mit dem Wiederaufbau der Neuen Synagoge begonnen.

DER TOURISTENMAGNET

Nirgendwo sonst in der Stadt zeigt sich der Wandel der letzten Jahre wie in Mitte. Unternehmen, Banken, Interessenverbände, Werbe- und Medienbranche, gehobene Gastronomie und Hotellerie zieht es dorthin. Die Tourismusbranche ist einer der wichtigsten Wirtschaftsfaktoren für den Altbezirk und ganz Berlin. Hotels in Mitte liegen in der Auslastung deutlich über dem Durchschnitt der Stadt. Allein in unmittelbarer Umgebung zur Friedrichstraße gibt es 50. Die Wirtschaft setzt vor allem auf Einzelhandel und Gastronomie. Platz drei in der Wirtschaftsstrukturuntersuchung von 2004 belegt das Gesundheitswesen. Viele Institute der Charité befinden sich in Alt-Mitte. Ende 2006 hatte Mitte 79 406 Einwohner (2004: 76 195). Von 1995 bis 2004 stieg laut Statistischem Landesamt vor allem der Anteil der Einwohner zwischen 20 und 45 Jahren stark an.

DIE GROSSBAUSTELLE

Markenzeichen des alten Zentrums: Großbaustellen. Zum Beispiel der Alexanderplatz mit Umgebung. Er soll zum neuen Shoppingcenter-Magnet Berlins werden. Anfang 2007 kamen laut einer Studie 2400 Menschen zum Alex, fast zweieinhalbmal so viele wie noch im Vorjahr. Und auch die angrenzenden Verkehrsadern sollen verändert werden: Das Planwerk Innenstadt sieht einen Rückbau der großen Trassen zwischen Spittelmarkt und Alex vor. Die historischen Kerne der Teilstädte Berlin und Cölln sollen so teilweise wieder entstehen und ein neues Stadtviertel zwischen Rotem Rathaus und Altem Stadthaus aus dem Boden gestampft werden.

LITERATUR

Einen Überblick verschafft man sich am besten von oben. Für Mitte bieten sich mehrere Möglichkeiten an, darunter der Fernsehturm, der Französische Dom, die Reichstagskuppel oder der Hi-Flyer. Mit diesen Tipps hat Arnt Cobbers einen originellen Einstieg in seinen Kiez für Kiez gegliederten Stadtteilführer gefunden: „Berlin-Mitte – Der aufregendste Bezirk: Zwischen Tradition und Szene“ (Jaron Verlag). Wobei man das Wort Bezirk nicht im amtlichen Sinne nehmen darf. Einzelnen Vierteln sind dagegen drei bei Haude & Spener erschienene Büchlein gewidmet, ebenfalls leicht in die Tasche zu stecken: Ralph Hoppe, „Quer durch Mitte – Das Klosterviertel“; Wolfgang Feyerabend, „Quer durch Mitte – Die Friedrich-Wilhelm-Stadt“;Feyerabend/Raschke/Stiller, „Durch das Scheunenviertel und die Spandauer Vorstadt“. Wer es romanhaft-historisch mag, greift zu Alfred Döblins „Berlin Alexanderplatz“ (dtv). Für die Hosentasche ist das Buch aber zu sperrig. ac/lei/mj

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