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Berlin: Gestörtes Gleichgewicht

Das Landesverfassungsgericht verhandelte vier Stunden über den Doppelhaushalt 2002/03

Von Ulrich Zawatka-Gerlach

Am Ende schreckten die Kläger vor der eigenen Courage zurück. Nach vier Stunden mündlicher Verhandlung ließen sie ihren Antrag streichen, den Haushalt 2002/03 für nichtig zu erklären. Helge Sodan, Präsident des Landesverfassungsgerichts, nahm es unbewegt zu Protokoll. Die neun Richter sind seit gestern der Sorge enthoben, dem Land Berlin aus juristischen Gründen die finanziellen Grundlagen entziehen zu müssen. Was noch zu fällen bleibt, ist die praktisch folgenlose Entscheidung, ob der Doppeletat verfassungswidrig ist.

Das hohe Gericht wird sich Zeit lassen mit dem Urteil, denn dafür muss es die Berliner Haushaltspolitik ausleuchten, die auch für Juristen ein verzwickter Sonderfall ist. Die Kläger, 63 Abgeordnete von CDU, FDP und Grünen, berufen sich auf Artikel 87 der Landesverfassung: Die jährliche Neuverschuldung darf die Summe der öffentlichen Investitionsausgaben nicht überschreiten. Nur eine Ausnahme lässt die Verfassung zu: Die Kreditgrenze darf durchbrochen werden, wenn es der „Abwehr einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts“ dient. Zwei kurze Sätze, über die sich endlos disputieren lässt – wie früher die Mönche über die Frage, wie viel Englein auf eine Nadelspitze passen.

Links vor den Richtern saßen auf Seiten der Kläger: Michael Kloepfer, Rechtswissenschaftler der Humboldt-Universität als Prozessbevollmächtigter. Neben ihm CDU-Fraktionschef Nicolas Zimmer und die Haushaltspolitiker Christoph Meyer (FDP) und Jochen Esser (Grüne), der manchmal ungefragt dazwischen redete. Rechts vor den Richtern sprachen für das Land Berlin: Joachim Wieland, Rechtsexperte aus Frankfurt/Main, der den Senat auch in der Klage um Bundeshilfe vor dem Bundesverfassungsgericht vertritt, und ein gut aufgelegter, redseliger Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD).

Der wurde gleich zu Beginn der Verhandlung vom Gericht an seine spektakuläre Haushaltsrede am 28. Juni 2002 erinnert. Dort hatte Sarrazin den Etat 02/03 für „eindeutig rechtswidrig“ erklärt. Und ob in Berlin ein gesamtwirtschaftliches Ungleichgewicht herrsche, deren Bekämpfung höhere Kredite zulasse, sei „eine Sache, über die man unterschiedliche Meinungen haben kann“. Gestern war der Finanzsenator von der Verfassungsmäßigkeit des Doppelhaushalts wieder voll überzeugt. Die Berliner Wirtschaft habe seit Jahren ein „extremes Wachstumsproblem“ und die Arbeitslosigkeit sei überdurchschnittlich hoch.

Wieland sprang ihm zur Seite. Schon im Haushaltsgesetz 2001 habe der damalige Finanzsenator Peter Kurth (CDU) die Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts festgestellt. Das besondere Problem Berlins sei, dass es wegen seiner Haushaltsnotlage nur einen minimalen finanziellen Spielraum habe, um diese Störung abzuwehren. Andererseits müsse das Land so viel wie nur möglich sparen, um Sanierungshilfen des Bundes einklagen zu können. Kloepfer sah diese Zwickmühle nicht: Die Koalition habe nie nachvollziehbar dargelegt, dass ein wirtschaftliches Ungleichgewicht herrsche. Und zur Haushaltsnotlage gebe die Verfassung nichts her. Kloepfer appellierte an das Gericht, im Urteil verbindliche Maßstäbe für die künftige Haushaltsgesetzgebung zu entwickeln. Da lächelte Richter Sodan milde.

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