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Berlin: Gesund schrumpfen

Was wird aus Berlins Kliniken?, fragte der Treffpunkt Tagesspiegel Experten diskutierten über die Zukunft der Medizin in der Hauptstadt

Im Kampf gegen Krankheiten ist Berlin mit einer Armee von Spezialisten ausgerüstet – die Hauptstadt ist deutscher Spitzenreiter in der Hochleistungsmedizin. Durch die Zusammenlegung der Fakultäten von Freier und Humboldt-Universität zur „Charité-Universitätsmedizin Berlin“ entstand Europas größtes Uniklinikum. Hinzu kommen knapp 70 Krankenhäuser – darunter die Vivantes-Kliniken und das Deutsche Herzzentrum Berlin.

Doch dieses Arsenal an Ärzten, Kliniken und ambulanten Einrichtungen ist für Berlin ganz einfach zu teuer. Wie wird sich die Gesundheitsreform auf Berlins Kliniklandschaft auswirken? Was wird aus ambulanten Einzelpraxen? Und was bedeutet das für die Patienten? Darüber diskutierten sechs Experten am Montag beim „Treffpunkt Tagesspiegel“ im Berliner Hotel Intercontinental.

„Was leisten Berlins Kliniken bisher?“, wollte der ehemalige Wissenschaftssenator und Moderator der Podiumsdiskussion George Turner zum Auftakt wissen. „Sehr viel. Es gibt keine Spezialdisziplin, die es hier nicht gibt“, meinte Roland Hetzer, Direktor des Deutschen Herzzentrums. „Die Frage ist aber, ob Berlin sich das leisten kann“, sagte Rüdiger Strehl. Er ist Vorsitzender des Verbands der Universitätsklinika Deutschlands. Dass die Antwort auf diese Frage „Nein“ lautet und deshalb Kliniken zusammengelegt und zum Teil geschlossen werden müssen, darüber waren sich alle einig. „In Zukunft wird es interdisziplinäre Klinik-Zentren geben, denen ambulante Praxen angeschlossen sind“, sagte der Leiter des Sana-Gesundheitszentrums Berlin, Bernd Köppl. „Der Bettenabbau muss aber planvoll erfolgen, so dass die Qualität der Leistungen nicht leidet“, sagte der Mediziner und SPD-Bundestagsabgeordnete Karl Lauterbach. Außerdem könnten „wir unsere Gesundheitspolitik nicht weiter nach dem Vetorecht bestimmter Lobbygruppen richten.“ Bei der letzten Gesundheitsreform seien die Gesetze zwar prinzipiell sinnvoll gewesen, man habe sie aber am Ende so abgeschwächt, dass sie praktisch wirkungslos waren.

Auch die Selbstkontrolle der Kliniken durch ihre Ärzte behindere Reformen, betonte Bernd Köppl: „Wir bräuchten so etwas wie eine Regulierungsbehörde, die Leistungsangebote koordiniert.“

Das bekräftigt auch ein Beispiel, das Lauterbach nannte: „Derzeit werden in Deutschland zehn Geräte zur Protonen- und Schwerionen-Therapie bei Krebspatienten gebaut – für 120 Millionen Euro pro Stück.“ Nur bei jedem tausendsten Tumor sei eine solche Therapie aber notwendig. Grund für die teuren Investitionen sei der Ausblick auf hohe Gewinne. „Günstige Therapien brauchen dagegen Jahre, bis sie zur Anwendung kommen.“

Die Experten waren sich einig, dass die Qualität der Gesundheitsversorgung nicht unter den Reformen leiden soll. Zumindest bei der Breite des Angebots seien aber Einbußen kaum zu vermeiden, um die Kosten nicht unablässig steigen zu lassen, sagte Hartmut Wewetzer, Leiter des Wissenschaftsressorts beim Tagesspiegel, vor den mehr als 150 Gästen. „Die Politiker sollten endlich den Mut haben, öffentlich einzugestehen, dass es Leistungseinbußen geben wird.“

Dagny Lüdemann

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