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Berlin: Gewalt in der Ehe ist keine Frage des Status

Ausmaß häuslicher Gewalt größer als erwartet VON JENS ANKER Berlin. In den ersten fünf Monaten seines Bestehens hat das Sonderdezernat "Häusliche Gewalt" mehr Verfahren verfolgt, als die Justizverwaltung für das gesamte Jahr prognostiziert hatte.

Ausmaß häuslicher Gewalt größer als erwartet VON JENS ANKER

Berlin. In den ersten fünf Monaten seines Bestehens hat das Sonderdezernat "Häusliche Gewalt" mehr Verfahren verfolgt, als die Justizverwaltung für das gesamte Jahr prognostiziert hatte.Mehr als 1500 Fälle sind seitdem angezeigt worden.Das Sonderdezernat sei "ein wesentlicher Schritt, um der Gewaltbereitschaft im häuslichen Alltag Einhalt zu gebieten", bilanzierte Justizsenatorin Lore Maria Peschel-Gutzeit die Arbeit der Amtsanwälte."Da Gewalt an Frauen ein Männerproblem ist, müssen wir die Männer in die Verantwortung nehmen", sagte Frauensenatorin Christine Bergmann dem Tagesspiegel. Eine schnelle Bestrafung der Täter liege nicht zuletzt auch im Interesse der Kinder, die nicht in gewaltgeprägter Atmosphäre aufwachsen sollen, sagte Peschel-Gutzeit weiter.Als günstig habe sich erwiesen, daß häusliche Gewalt auf dem ebenfalls Ende vergangenen Jahres eingeführten Weg des beschleunigten Verfahrens verfolgt werde.Wenn die Tat nicht so lange zurückliegt, seien Frauen, die in erster Linie Opfer von Gewalttaten in den eigenen vier Wänden werden, eher bereit ihre Partner anzuzeigen und gegen sie auszusagen, sagte Justizsprecherin Corinna Bischoff am Montag.Die Täter zeigten sich außerdem reuiger, wenn noch ein direkter Zusammenhang zwischen Tat und Prozeß bestehe.Unmittelbar nach der Tat stünden Männer unter dem Eindruck des Geschehens.Erst Wochen oder Monate nach der Tat gingen manche dazu über, Frauen auch zu bedrohen und zu erpressen. Genaue Zahlen über häusliche Übergriffe liegen gegenwärtig weder der Justizverwaltung noch der Polizei vor.Experten schätzen, daß nur etwa jede achte bis zehnte Tat angezeigt wird.Derzeit sind es nach Justizangaben etwa 300 Anzeigen monatlich.Seit 1995 engagiert sich die "Berliner Initiative gegen Gewalt gegen Frauen" (Big) für das Thema.Laut Big sind Vorurteile wie "das kommt nur in bestimmten Schichten vor", oder "er war im Streß, ihm ist halt die Hand ausgerutscht", in das Reich der Mythen zu weisen.Innerfamiliäre Gewalt komme unabhängig vom Einkommen und dem Bildungsstand vor.In der Regel handele es sich nicht um Einzelfälle, sondern um Teile eines "komplexen Mißhandlungssystems", sagt Birgit Schweikert von Big.Hauptkritikpunkt von Big ist, daß Frauen, nachdem sie geschlagen wurden, zum zweiten Mal in die Opferrolle gedrängt würden, da sie die Wohnung verlassen müßten - und nicht wie in Amerika oder Australien die Täter. Auch die Mitarbeiter in den Frauenhäusern sehen darin ein Problem."In den meisten Fällen sind davon auch Kinder betroffen", sagt eine Sozialarbeiterin eines autonomen Frauenhauses im Ostteil der Stadt.So müßten sich die Opfer um neue Kita- und Schulplätze für ihre Kinder kümmern."Die Frauen fliehen in die Ungewißheit, während die Täter im gewohnten Umfeld leben können." Insgesamt gibt es rund 360 Frauenhausplätze in Berlin. Seit 1.September 1996 leitet Heidi Kleine das Sonderderzernat beim Amtsgericht mit zehn Mitarbeitern.Im Unterschied zu früher solle von Amts wegen den Anzeigen nachgegangen werden, um zu zeigen, daß ein öffentliches Interesse an der Verfolgung der Täter bestehe, sagt Kleine.Ein Sonderdezernat wie das Berliner gibt es bisher nur in Bremen.Anstoß gaben Beratungen in der Justizministerkonferenz vom November 1994.Damals verständigten sich die Minister auf eine intensive Strafverfolgung bei häuslicher Gewalt.In der Justizverwaltung war man bei der Einrichtung des Sonderdezernates von 1000 Fällen im Jahr ausgegangen.Jetzt könnte es bis zu 4000 Verfahren im ersten Jahr kommen.

JENS ANKER

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