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Berlin: Gift und Galle

In Groß Glienicke streiten nicht die Wahlkämpfer sondern die Wähler: Alt-Bewohner gegen Zugezogene

Groß Glienicke. Norbert Mensch wechselt gerade die Glühbirnen der Gartenlampen aus. Irgendwer hat sie mit einem Luftgewehr kaputtgeschossen. Einst hatte Norbert Mensch das Gefühl, Groß Glienicke sei ein idyllischer Ort. Deshalb ist er vor sieben Jahren hergezogen. Jetzt steht der 41-Jährige auf seiner Terrasse und hat Angst.

Vergangene Woche haben sie in seiner Straße Flugblätter verteilt. Darauf stand sein Name und: „Die Juden machen sich am See breit.“ Norbert Mensch, Katholik, lebt in einer von fünf Wohnungen in einer Villa am Groß Glienicker See. Der Garten endet kurz vor dem mit Bäumen bewachsenen Ufer. Vor fast genau drei Monaten kippten Unbekannte eine Mischung aus Dieselöl und Unkrautvernichtungsmittel an die Bäume vor Menschs Grundstück. Feuerwehr und Polizei sperrten den ganzen Badesee, mehrmals musste verseuchte Erde abgetragen werden. Die Täter konnte die Polizei noch nicht ermitteln. Aber für viele Leute im Dorf war klar: Es waren Norbert Mensch und die anderen Villenbewohner. Sie wollten die Bäume weg haben – für bessere Sicht auf den See. „Ich habe mit der Sache nichts zu tun“, sagt Mensch, „Aber es gibt eben viele Vorurteile der Altbürger hier gegenüber uns Neubürgern.“

1500 Menschen lebten zu DDR-Zeiten in Groß Glienicke. Heute sind es mehr als doppelt so viele. Fast alle Zugezogenen stammen aus dem Westen. Es gibt zwei Sportvereine im Dorf, einen für die Altbürger und einen für die Neuen. Und es gibt die „Stiefelburg“. So nennen die Neubürger den großen grauen Wohnblock und die flachen alten Einfamilienhäuser am Rande des Dorfes. Hier leben die Alteingesessenen. Viele sind ehemalige Grenzsoldaten mit ihren Familien. Die kleinen Häuser ähneln sich: Einfahrt fürs Auto durch den Garten, weiße Gardinen in den Fenstern, Schilder mit der Aufschrift: „Vorsicht bissiger Hund“ am Zaun.

Ein älterer Mann zupft an seinen Blumen herum und sagt mit heiserer Stimme: „Die Leute, die die Bäume vergiftet haben, werden sie nie finden. Die Neuen decken sich doch alle gegenseitig.“ Die vergifteten Bäume seien nur ein Beispiel. Mehr will er nicht sagen. Eine ältere Frau aus der Nachbarschaft stimmt ihm zu: „Sogar den Angelverein haben sie übernommen, die Berliner.“ Sie fühle sich als Fremde im eigenen Dorf.

Vor dem Supermarkt im Dorf haben CDU und SPD ihre Stände aufgebaut. Am Sonntag ist Kommunalwahl, von den Ständen dröhnen deutsche Schlager fürs Volk. Die Wahlkämpfer sind fast alle Neu-Glienicker. Am CDU-Stand spekulieren sie über den Giftanschlag auf die Bäume. Waren es Makler, die Immobilien mit Seeblick verkaufen wollten? Oder war es die Rache derer, die kein Grundstück mehr abbekommen haben? Jeder hat einen anderen Verdacht, keiner weiß etwas. Ein Mittdreißiger vermutet „die Alteingesessenen“ hinter der Tat. Vielleicht hätten die auch die Flugblätter verteilt, um Groß Glienicke öffentlich schlecht zu machen, damit nicht noch mehr Wessis herziehen. Die Umstehenden nicken.

Die Wahlkämpfer von SPD und CDU sind nett zueinander. Sie eint das gleiche Problem: Bürgermeister, SPD und CDU hatten bei den letzten Wahlen jeweils ordentliche Ergebnisse, aber danach keinen Einfluss. Denn der Bürgermeister und die anderen Sozialdemokraten im Gemeinderat haben keine Mehrheit. Und die CDU ist gar nicht mehr dabei, seit ihre beiden Verordneten die Partei verlassen haben und jetzt „mit der PDS gemeinsame Sache machen“, wie ein treuer Christdemokrat sagt. Bei diesem Thema vergeht den Wahlkämpfern das Lächeln. Sie sprechen von „ihm“, dem „Wolf im Schafspelz“, dem „Major, der das Recht beugt“. Sie meinen Peter Kaminski, den PDS-Spitzenkandidaten und früheren Bürgermeister. Vor fünf Jahren hatte seine Partei drei Stimmen im Gemeinderat. Dann hat er sich eine Mehrheit zusammengezimmert: Er hat die Abgeordneten einer Wählergemeinschaft auf seine Seite geholt, anschließend die beiden CDU-Abgeordneten. „Ich mache nur, was die Leute wollen“, sagt Peter Kaminski, langjähriger Artillerie-Offizier bei der Nationalen Volksarmee und Mitglied der SED. Auf 85 Prozent der Häuser hätten nach der Wende Rückübertragungsansprüche bestanden, sagt er. „Das hat zu Ängsten und zu großem Misstrauen geführt.“ Die Neubürger würden die Stimmung im Dorf durch ihr „aggressives Auftreten“ zusätzlich anheizen.

Inzwischen ist der amtierende Bürgermeister am SPD-Stand eingetroffen. Auf seinem Pullover klebt ein Streifen Krepp-Band. „Daniel Dörr, SPD“ steht mit Filzstift darauf. Dörr nennt sein Lebensmotto: „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.“ An einen Giftanschlag in Groß Glienicke mag er nicht glauben: „Vielleicht war es ja nur ein Versehen. Jemand wollte die Giftbrühe entsorgen und hat sie zufällig an die Bäume gekippt.“ Dörrs Traum ist „eine Gesellschaft, in der alle einander vertrauen“.

Die Polizei ermittelt mit einer vierköpfigen Sonderermittlungsgruppe in Groß Glienicke.

Juris Lempfert

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