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Containergeschäft. Sebastian Clemen und Heike Kaupp überprüfen stadtweit die Luftqualität.

© Getty Images/iStockphoto

Giftige Stoffe: Die Berliner Luft im Gesundheitscheck

Stickstoffdioxid und Feinstaub sind noch immer die größten Probleme der Hauptstadtluft. Was dagegen getan wird, hängt wesentlich von einer präzisen Messung ab - so funktioniert sie.

Die Ente bleibt draußen. Sie ist ja nur die aufgesprühte Verzierung des Containers, in dem die Qualität der Berliner Luft gemessen wird. Um die geht es. Von den Messungen kann abhängen, ob Gerichte demnächst Fahrverbote für Diesel verhängen, ob Behörden Tempo 30 auf Hauptstraßen gerichtsfest begründen können, ob die EU Strafzahlungen von Berlin und anderen Städten verlangt, weil Grenzwerte überschritten werden.

Der Container steht neben dem Gebäude der Umweltverwaltung am Spreeufer nahe der Jannowitzbrücke. 16 solcher Container sind im Stadtgebiet verteilt: sechs an Hauptverkehrsstraßen, fünf wie dieser hier im „innerstädtischen Hintergrund“ und fünf am Stadtrand. Sebastian Clemen hat die Tür mit der Ente aufgeschlossen und betritt mit seiner Chefin den Container. Heike Kaupp leitet das Referat für Luftgütemessungen, Clemen das zugehörige Labor.

Schnell die Tür zu, damit die rund ums Jahr auf 20 Grad temperierte Box nicht auskühlt. Präzision ist alles in dieser Branche, in der jedes Mikrogramm zählt. Ein Mikrogramm, das ist etwa ein Tausendstel von einem Salzkorn. Aber jetzt und hier interessierten erst einmal die in ein Metallregal geschraubten Messgeräte, die wie ältere PCs aussehen und mit weiteren Maschinen verbunden sind. Aus denen ragen die Rohre durchs Containerdach, die die Stadtluft ansaugen.

Viele Luftschadstoffe treten nur noch in unkritischen Konzentrationen auf: Schwefeldioxid ist seit dem Einbau von Kraftwerksfiltern in den 1980ern unter Kontrolle. Benzol und Schwermetalle wie Blei sind dank moderner Kraftstoffe und Motoren kein großes Thema mehr, und die Ozonwerte steigen höchstens bei Sommerhitze in Bereiche, die für den Menschen ungesund werden. Die Vegetation kann allerdings schon früher Schaden nehmen.

So ähnlich wie Glühwürmchen

Anhaltend große Probleme machen Feinstaub („Particulate Matter“, PM) und Stickstoffdioxid (NO2). Ihretwegen wurde 2008 die Umweltzone eingeführt. Beim Feinstaub hat sie gewirkt, beim ätzenden Reizgas NO2 nicht – aus Gründen, die seit dem Diesel-Skandal allgemein bekannt sind. Beide Schadstoffe wirken für Menschen auf unterschiedliche Weise giftig; laut Europäischer Umweltagentur und Umweltbundesamt verursachen sie in Deutschland jährlich zehntausende vorzeitige Todesfälle.

Weil der seit 2010 verbindliche NO2-Grenzwert von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft auch in Berlin an allen Straßenmessstellen überschritten wird, drohen Fahrverbote. Im Winter sind die Werte oft besonders hoch, wenn eine Glocke aus schwerer kalter Luft über der Stadt liegt. Und weil, wie die Deutsche Umwelthilfe dokumentiert hat, selbst neue Dieselautos bei kaltem Wetter ihre Abgasreinigung teils komplett ausschalten, was ihren NO2-Ausstoß mal eben verzehnfachen kann.

Stickstoffdioxid wird mit einem elektrophysikalischen Verfahren gemessen, das „so ähnlich funktioniert wie ein Glühwürmchen“, sagt Heike Kaupp. NO2 stammt ganz überwiegend aus dem lokalen Straßenverkehr. An den grünen Stadträndern sind Werte um 15 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft üblich, an Hauptverkehrsstraßen eher 50, teilweise über 60.

Beim Feinstaub ist die Schuldfrage etwas komplizierter, weil er teils von weither in die Stadt geweht wird. Hier im Container wird er aus der Luft „herausgesiebt“: Zum Probenahmegerät gehören zwei Röhren mit je 14 gestapelten Filtern. Sie sind aus Quarzfasern, rund und zunächst blütenweiß.

Auf's Mikrogramm genau

Jeweils um Mitternacht wechselt die Maschine automatisch den Filter: ein weißer rein, ein hell- bis dunkelgrau gewordener raus. Alle 14 Tage holt jemand die grauen Filter ins Labor und füllt weiße nach. Dabei kann er auch die Maschinen checken, die die aktuellen Messwerte anzeigen und zur Verwaltung funken, die sie täglich online stellt. Aktuell sind es 25 Mikrogramm PM 10 pro Kubikmeter Luft und 21 Mikrogramm PM 2,5. Grenzwert ist ein Tagesmittel von 50 Mikrogramm PM 10 pro Kubikmeter, der an maximal 35 Tagen im Jahr überschritten werden darf. 28 sind es bisher an der Silbersteinstraße, 27 an der Frankfurter Allee. Sollte sich demnächst ruhiges Winterwetter einstellen, wird es also knapp.

PM 10 steht für maximal zehn Mikrometer große Staubteilchen – also einen hundertstel Millimeter. Unsichtbar selbst unter der Lupe, aber groß genug, um beim Einatmen in den Nasenhärchen hängen zu bleiben. Zum Glück. Die kleineren PM 2,5-Partikel schaffen es bis in die Bronchien. Je winziger sie sind, desto gefährlicher: Was über die Lungenbläschen in die Blutbahn gelangt, kann Herzkrankheiten und Krebs verursachen.

16 Container und 29 Laternen messen im Berliner Stadtgebiet die Feinstaubwerte.
16 Container und 29 Laternen messen im Berliner Stadtgebiet die Feinstaubwerte.

© Georg Moritz

„Hier sehen wir also, wie viel in der Luft ist“, sagt Clemen. „Aber was es ist, erfahren wir erst im Labor.“ Also ab in die siebte Etage, wo die Analysegeräte stehen und in einem extra Raum eine ganz besondere Waage: auf einer Marmorplatte, mit Erdungskabel und separat untergebrachter Elektronik, damit kein Elektrosmog die Ergebnisse beeinflusst. Die sind nämlich auf 0,1 Mikrogramm genau. Also ein Zehnmillionstel von einem Gramm. Hier werden die benutzten Filter gewogen. Im Regal liegen die 14er-Reihen zum Akklimatisieren. Von mattweiß bis asphaltgrau. „Das hier dürfte ein Überschreitungstag gewesen sein“, sagt Clemen und zeigt auf den dunkelsten.

Die besonders hellen stammen von regnerischen, windigen Tagen. Regen und Wind tun der Luft immer gut. Woher der Dreck auf den Filtern stammt, wird auf der anderen Seite des Flurs in einem Ofen ermittelt. In dessen Öffnung passt exakt der Glasspatel, auf dem Clemen ein aus dem Filter gestanztes, exakt einen Quadratzentimeter großes Viereck schiebt, um es allmählich auszubrennen.

Organischer Kohlenstoff, der aus neuzeitlicher Biomasse wie Holz stammt, oxidiert schon bei geringeren Temperaturen als der elementare Kohlenstoff aus fossilen Quellen wie Öl und Kohle. Letzterer bildet den besonders schädlichen Teil des Feinstaubs, vor allem Ruß.

Aber der organische ist auch nicht ohne. „Mit den neuerdings so beliebten Wohlfühl-Kaminen ist ein ganz neues Problem auf uns zugekommen“, sagt Heike Kaupp. Clemen nickt: „Es ist auch ärgerlich, weil der Grenzwert oft nur knapp überschritten wird. An manchen Tagen leistet das Brennholz aus Kaminen den entscheidenden Beitrag, dass wir über die 50 Mikrogramm kommen.“

Der Diesel bleibt kritisch

Grob vereinfacht besteht der typische Berliner Feinstaub zu je einem Drittel aus Kohlenstoff, Salzen wie Nitraten und Sulfaten, die ebenfalls oft aus Verbrennungsgasen entstanden sind, sowie einem „unidentifizierten Rest“. Der setzt sich beispielsweise aus aufgewirbeltem Straßenstaub oder in winzigen Poren haftendem Wasser zusammen. Gifte wie Schwermetalle, Dioxine und PCB tragen zwar kaum zur Gesamtmasse bei, aber werden wegen ihrer besonderen Schädlichkeit gezielt untersucht.

Im Langzeitvergleich der vergangenen 20 bis 30 Jahre sind fast alle Luftschadstoffe deutlich zurückgegangen. Mit einer Ausnahme: NO2, das Dieselgift, wird nicht weniger. Laut Gesetz müssen die Städte da messen, wo es wehtut – also in besonders stark belasteten Straßen. Das sind die verkehrsreichsten mit der dichtesten Bebauung. Weil dort selten Platz für einen Messcontainer ist, gibt es noch eine kompaktere Variante, die an Laternen montiert werden kann. 29 Stück davon hängen im Stadtgebiet.

Die schwarze Laterne 2016 geht an die Leipziger, Ecke Friedrichstraße, gefolgt von der Buschkrugallee an der Zufahrt zur Stadtautobahn. Ein paar der kompakten Messgeräte hängen auch direkt über den Containern – als Gütekontrolle. „Wir verwenden viel Zeit auf Qualitätssicherung“, sagt Heike Kaupp. Sie wissen hier, wie sehr es auf ihre Messungen ankommt in diesen Zeiten, in denen sich Gerichte im ganzen Land mit der Frage befassen, wie viel saubere Atemluft wert sein soll.

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