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Gisela May in der Komischen Oper: Barfuß von der Bühne

Gisela May begeisterte in der Komischen Oper. Bis Dezember spielt sie in Brechts „Mahagonny“

„Sie haben doch nichts Böses notiert?“, fragte die Theaterbesucherin mit energischem Unterton. Argwöhnisch hatte sie zuvor in der Komischen Oper ihre Logennachbarin beobachtet, die sich ab und an Notizen machte. Nein, nichts Böses, das hat Gisela May nicht verdient.

Knapp zwei Stunden begeisterte die 82-Jährige am Samstagabend ihr (Fan)-Publikum, das die weltweit als Brecht-Interpretin berühmte Künstlerin schon bei den ersten Tönen mit Bravo-Rufen und Beifall empfing. „Geld macht sinnlich“ hieß das Thema ihres Abends in der Komischen Oper, der das Publikum auf die gestrige Premiere der Oper „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“ von Kurt Weill mit dem Text von Bertolt Brecht einstimmen sollte.

Ob alle Theaterbesucher vom Sonnabend dann auch gestern in der Komischen Oper waren, muss hier dahingestellt bleiben – der Großteil kam wohl wegen „der May“. Und erfuhr von dieser Insider-Schmankerl über den Werdegang von „Mahagonny“ vom ursprünglichen Songspiel bis hin zur Erweiterung als abendfüllende Oper. Deren Uraufführung am 9. März 1930 in Leipzig war einer der größten Theaterskandale der Weimarer Republik: Organisierte Schlägertrupps wollten die antikapitalistische „Mahagonny“-Attacke von Kurt Weill und Bertolt Brecht zum Schweigen bringen. Über diese gewaltigen, aber letztlich zerstrittenen Genies plauderte, sang und las die May ohne Pause – „da können Sie nicht weglaufen“, sagte sie. Damit sie selbst nicht vorzeitig weglaufen musste, hatte sie sich vorher erbeten, dass die Klimaanlage ausgeschaltet blieb. May hasst „diese unterkühlten Räume“ und genießt die spätsommerliche Wärme.

Am Sonnabend genoss sie die Wärme des Publikums – das war dankbar für jeden Ton, sogar, wenn May leicht den Faden verlor. Was macht das schon bei jemandem, dem seit über 50 Jahren das Publikum zujubelt? „Ich habe sie in allen ihren großen Rollen gesehen“, sagte eine und erinnerte sich an die „Mutter Courage“ der May im Berliner Ensemble. „Am 5. Oktober gibt sie dort wieder einen Liederabend“, wußte die Verehrerin, „beim jüngsten war jeder Platz besetzt.“

Wie oft die May den Song vom „Surabaya-Johnny“ schon gesungen hat, weiß sie sicher selbst nicht. Am Sonnabend in der Komischen Oper wollte danach lange niemand seinen Platz verlassen. Mit Blumen und Bravo-Rufen dankte das Publikum und erklatschte sich stehend vier Zugaben von seinem Star. Der setzte schließlich erschöpft ein Schlusszeichen – Gisela May zog die Pumps aus und humpelte barfuß von der Bühne.

Gisela May tritt bis 29. Dezember in der Komischen Oper auf. Karten gibt es telefonisch unter 47 99 74 00.

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