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Berlin: Giuseppe Vita: Ein Mann mit der Gabe, sich Freunde zu machen

Ein kleiner Mann steht vor großem Publikum und spricht mit leiser Stimme und italienischem Akzent "Glück" aus wie "Gluck". Von "Gluck" spricht er viel - von dem, Zeit seines Lebens nur wenige Tage krank gewesen zu sein.

Ein kleiner Mann steht vor großem Publikum und spricht mit leiser Stimme und italienischem Akzent "Glück" aus wie "Gluck". Von "Gluck" spricht er viel - von dem, Zeit seines Lebens nur wenige Tage krank gewesen zu sein. Vom Glück, gerade zur rechten Zeit nach Berlin zu kommen und in der lebendigsten Stadt Europas leben zu dürfen. Der Mann lächelt. Obwohl ihn der Anlass seiner Rede schon ein bisschen traurig macht - schließlich verabschiedet er sich gerade von einer Ära seines Lebens: 37 Jahre hat Giuseppe Vita für die Schering AG gearbeitet, 14 Jahre saß er im Vorstand, 12 Jahre davon als Vorsitzender. Jetzt, 66-jährig, wechselt er in den Aufsichtsrat. Die Mitarbeiter finden das schade. Nicht nur, weil der Chef die hitzigen Strategiedebatten immer so nett mit Carabinieri-Witzen aufgelockert hat. Davon kursieren viele am Dienstagabend im Roten Rathaus, wo Vita auf Einladung Eberhard Diepgens seinen Abschied feiert. Sein Lieblingswitz, so heißt es, sei der mit dem Carabinieri, der rückwärts einen Berg rauf fährt, weil er meint, oben keine Wendemöglichkeit zu finden. Weil dann aber doch eine da ist, fährt er auch rückwärts wieder runter.

Dass die Lobreden an diesem Abend herzlicher ausfallen als sonst üblich zu solchen Anlässen, liegt zum einen daran, dass Vita beim Berliner Traditionsunternehmen außerordentlich erfolgreich war. Schon 1964 trat der promovierte Arzt in die Firma ein, als wissenschaftlicher Mitarbeiter in der klinischen Forschung. Bereits ein Jahr später übernahm er den Chefposten der italienischen Tochter Schering SpA Mailand. Er schaffte es, den katholischen Landsleuten die Pille zu verkaufen und machte Italien zu einem der größten Absatzmärkte für das Unternehmen innerhalb der EU. 21 Jahre seines Lebens investierte Vita hier. Seine Stadtwohnung in Mailand hat er immer noch. Da atmet er durch, wenn Schering den Chef mal aus den Fängen lässt. 1987 wurde Vita dann in den Vorstand nach Berlin gerufen und 1989 zum Vorsitzenden ernannt. Als einer der wenigen Ausländer an der Spitze eines deutschen Groß-Konzerns zog der Italiener viel Aufmerksamkeit auf sich. Seit seinem Amtsantritt hat Giuseppe Vita Schering gesundgeschrumpft: von fünf Geschäftsfeldern auf nur eines - pharmazeutische Produkte. Seit Jahren fährt der Konzern Rekordumsätze ein: 2000 waren es rund 4,4 Milliarden Euro.

Dass die Reden so nett und die Gäste so traurig sind, das hat aber auch noch andere Gründe als nur den des wirtschaftlichen Erfolges. Vitas Nachfolger Hubertus Erlen kann gleich ein paar davon aufzählen: Giuseppe Vita sei verbindlich, nie aufgeregt, einer, der auf Mitmenschen zugehe. Und außerdem bringe er alle zum Lachen, wenn er sich selbst verulkt - ein Mann, mit der Gabe, sich Freunde zu machen, obwohl Härte zum Job gehört.

Tatsächlich: Viele Prominente, die normalerweise einen engen Terminkalender haben, kamen ins Rote Rathaus: Richard von Weizsäcker, Manfred Stolpe und auch Innenminister Otto Schily. "Schau, Pepe, wer das ist", ruft Ehefrau Cristiana alle Naselang. Vita ergreift die Hände seiner Gäste mit seinen beiden und verteilt charmant-italienisch Wangenküsse an die Damen. Sein berufliches Gesicht mag zutiefst deutsch sein - der Firma seit Jahrzehnten treu, eher still denn temperamentvoll, eher langfristig planend denn spontan. Aber Vitas privates Gesicht ist eindeutig und patriotisch südländisch. Zuhaus wird nur italienisch gesprochen und Inter Mailand gehört Vitas ganze Liebe.

Dass Giuseppe Vita seine aktive Schering-Zeit beendet, heißt allerdings nicht, dass er nun mehr Zeit hat für sein Privatleben. Ausgedehnte Ferien in Sizilien, wo Vita mit sieben Brüdern und sieben Schwestern aufwuchs, werden eher selten bleiben. Auch Opern- oder Konzertbesuche wird der Musikliebhaber wohl weiterhin in einen engen Terminplan quetschen. Wie bisher, wenn er mehrmals in der Woche nach getaner Arbeit spontan in die Philharmonie entschwand, die letzte Karte erwischte und sich zufrieden in der hintersten Reihe einrichtete.

Nein, Zeit bleibt Mangelware. Vita hat schließlich viele Aufsichtsratsposten, nicht nur bei Schering, sondern auch bei Hugo Boss und beim Springer-Verlag auszufüllen. Noch enger wird es, wenn Vita bald einen neuen Job als wirtschaftlicher Berater von Francesco Rutelli antritt, den er von Kindesbeinen an kennt. Falls dieser am Wochenende die italienischen Parlamentswahlen gewinnt.

Trotzdem: Giuseppe Vita ist mit Berlin so fest verwachsen wie das Unternehmen, das er 14 Jahre lang geleitet hat. Er hat den Mauerfall miterlebt, trägt den Verdienstordens des Landes Berlin. Deshalb bleibt er Berliner. Die Wohnung am Tiergarten ist die Basis zu der er aus Rom und Mailand immer wieder zurückkehren wird.

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