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Berlin: Glanz ist in der kleinsten Bude

Seit Jahrhunderten gehören Weihnachtsmärkte zu Berlin. Ihr Angebot war mal karg und mal bunt – ganz so wie die Zeiten

Natürlich ist er wieder da, der Herr Russ, Helmut Russ. 2002 knipste der Veranstalter aus Schleswig-Holstein zum ersten Mal die prächtig-ausladende Weihnachtstanne auf dem Gendarmenmarkt an, und siehe, viel Volk strömte herbei, schob sich durch das Reich der Buden und Stände, schnabulierte nach Herzenslust, hörte die altbekannten Lieder vom entsprungenen Ros’ und vom Kindlein in der Krippen hier. Der besinnliche Weihnachtsmarkt zwischen den Domen vor dem Schauspielhaus war so magnetisch, dass Helmut Russ im nächsten Jahr wiederkam, schließlich vor Begeisterung nach Berlin zog und nun zum dritten Mal mit seinem Weihnachtszauber den Gendarmenmarkt christkindlich belebt. 122 Stände stehen auf dem Platz, wenn der Markt am 21. November – wie es sich ziemt: nach Totensonntag – beginnt. Der künstlerisch veredelte Budenzauber geht zum ersten Mal über Weihnachten hinaus; er endet am 31.12. mit einem Feuerwerk, davor gibt es das berühmte Silvester-TV-Lustspiel „Dinner for one“ live auf den Stufen zum Schauspielhaus. „Wenn man eine gute Veranstaltung macht, dann kommen die Berliner auch“, sagt Russ. Das haben wir schon lange beobachtet. Den Hunger nach Lustbarkeiten jeder Art verursacht offenbar ein lokales Spree-Gen, das stets nach neuer Nahrung schreit. Zum Weihnachtsfeste wird die Speis’ mit frommen, altehrwürdigen Liedern verschönt, mit Lebkuchenduft verfeinert und mit Zuckerwatte versüßt.

So lang wie die Lichterketten am Ku’damm und in der Friedrichstraße ist die Tradition der Weihnachtsmärkte in Berlin. Schon im Mittelalter wurde rund um die Nikolaikirche und anderenorts in der Doppelstadt Berlin-Cölln mit Kerzen, Honiggebäck und warmen Sachen gehandelt. Ein zeitgenössischer Stich von 1796 zeigt, dass auf dem Berlinischen Christmarkt nahe der „Linden“ die feinen Leute in ihren langen, edlen Roben den Ton angeben, der Verkauf von allerlei Nützlichem wie Unnützen geriet zum Volksfest unter der Devise „Sehen und gesehen werden“.

100 Jahre später zog sich der Weihnachtsmarkt vom Mühlendamm über die Breite Straße zum Schloss bis zum Lustgarten; von nahezu 3000 Buden wird berichtet und von ohrenbetäubendem Lärm. Von wegen „Markt und Straßen stehn verlassen, still erleuchtet jedes Haus“. Berlin war immer etwas anders. In einem Gedicht reimt ein Walther Gottheil anno 1896: „Welch ein Trommeln und Trompeten, Dudeln, Fiedeln, Rasseln, Flöten, Knarren, Schnarren, Brummen, Schreien, in den langen Budenreihen“. Ein Jahr später nennt Paul Lindenberg das Ganze ein reines Tohuwabohu: „Das gellt und pfeift und schreit und quiekt und trommelt und rasselt und schnarrt durcheinander, als wenn sich die Höllenscharen hier dicht bei dem dunkel und massig emporragenden altersergrauten Königsschloss ein Rendezvous gegeben hätten“. Eines Tages wurde Kaiser Wilhelm II. das Treiben vor seiner Haustür zu bunt, der Markt sei „eine gänzlich veraltete, den Verhältnissen und der Würde der Reichs-Hauptstadt in keiner Weise mehr entsprechende Krämereinrichtung“. So zogen sie denn fort, die Händler, mit ihren Puppen und Trommeln, Handwärmern und Hosenträgern, und natürlich mit den großen Pfefferkuchenherzen und der zuckersüßen Botschaft: „In meinem Zimmer rußt der Ofen, in meinem Herzen ruhst nur du“.

Später kam der Rummel als Höhepunkt der Volksbelustigung dazu. Damals wie heute sind übrigens die Weihnachtsmärkte die wichtigsten Einnahmequellen für die Schausteller und Händler. Aber immer war der „Marcht“ auch ein Spiegel der Zeit in unserer recht eigentlich seit 1945 geteilten Stadt: Ob unterm Funkturm oder in der Stalinallee – zunächst war das Angebot schmal, dann kam im Westen das Wirtschaftswunder und später im Osten die Mauer. „Die kalten Füße sind vergessen, wenn Sie Kartoffelpuffer essen“ hieß es 1962 an einem Stand in der DDR-Hauptstadt, wo der Weihnachtsmarkt umherwanderte, vom Marx-Engels-Platz zum Lustgarten zum Alex und nun wieder zurück zum Schloßplatz, weil beim einst größten Markt Berlins an der Alexanderstraße gebuddelt und gebaut wird. Aber vom weithin sichtbaren Riesenrad vor dem Palast der Republik blickt der Markt-Bummelant hinunter zum stillen Treiben am Opernpalais und zum besinnlichen Markt rund um Friedrich Schiller am Schauspielhaus, und vielleicht sieht man von ferne über Tiergartens Wipfelspitzen die Lichter vom Baum an der Gedächtniskirche blitzen – es scheint, als habe hier jeder seinen eigenen Weihnachtsmarkt.

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