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Berlin: Gleichberechtigung, oder: Die Hochzeit von Samsun

GAZETELER RÜCKBLICK Jeden Montag im Tagesspiegel: ein Rückblick auf die in Berlin erscheinenden türkischen Tageszeitungen. Über eine Hochzeitsfeier in der Hafenstadt Samsun empörten sich am Dienstag die Tageszeitungen Hürriyet und Milliyet.

GAZETELER RÜCKBLICK

Jeden Montag im Tagesspiegel: ein Rückblick auf die in Berlin erscheinenden türkischen Tageszeitungen.

Über eine Hochzeitsfeier in der Hafenstadt Samsun empörten sich am Dienstag die Tageszeitungen Hürriyet und Milliyet. Denn dort wurden die Gäste nach Geschlecht getrennt – und zwischen ihnen stand eine zwei Meter hohe Trennwand. „Die Mauerschande auf dem Weg zur EU“, stand auf der Titelseite der Hürriyet, die auch ein Foto von der seltsamen Feier zeigte. Die Zeitung prangerte diesen Rückfall in Zeiten vor der nominellen Gleichberechtigung von Mann und Frau an. Schließlich sei die Türkei dabei, „sich westlichen Maßstäben anzupassen“.

Samsun liegt am Schwarzen Meer. Die Stadt hat mehr als eine Million Einwohner und viele Türken trauen den Ansässigen durch die Lage am Meer Weltoffenheit und europäischen Lebensstil zu.

Wenn schon in Samsun so gefeiert wird, wie mag es dann auf dem Land zugehen, fragen viele – und gucken dabei vielleicht in die ganz falsche Richtung. Bei religiösen Zeremonien ist die Trennung von Männern und Frauen üblich. In den Moscheen beten seit Jahrhunderten die Frauen hinter Gardinen oder in Extraräumen. Die Stimme des Predigers hören sie heutzutage durch Lautsprecher. Das ist auch in Berlin so: Zumindest in den sunnitischen Moscheen gibt es keine einzige Ausnahme.

Im Fall Samsun prangern Hürriyet und Milliyet an, dass der Raum, in dem die Hochzeit stattfand, einem öffentlichen Jungeninternat gehöre und deshalb dem Bildungsministerium in Ankara unterstehe. Das sei ein Skandal, was der Vermieter des Saals anders sieht: „Das ist die Privatsache des Mieters. Er kann feiern, wie er will“, soll er gesagt haben.

Egal, ob öffentlich oder privat: Die Trennung von Männern und Frauen ist in Europa abgeschafft worden. Insofern löst sie prinzipiell Befremdung in diesen Breitengraden aus. Hier wird befürchtet, dass die räumliche Trennung nach Geschlechtern nicht ohne Folgen für das Rollen- und Selbstverständnis der Frau in jener Gesellschaft bleibt. Die Gleichberechtigung von Mann und Frau ist deshalb auch ein wichtiges Kriterium für den Beitritt der Türkei zur Europäischen Union.

Suzan Gülfirat

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