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Berlin: Gleicher Respekt für bedeckte Häupter und offene Haare Kreuzberger Türken mehrheitlich gegen verbindliche Kleiderordnung

In der Aziz-Nesin-Grundschule in der Urbanstraße in Kreuzberg herrscht kurz nach acht Uhr wieder Ruhe. Die Kinder sitzen in den Klassenräumen der deutsch-türkischen Europaschule, einige türkische Mütter haben sich im Elterncafé im Erdgeschoss versammelt, bevor sie sich in den Wochenendtrubel stürzen wollen.

In der Aziz-Nesin-Grundschule in der Urbanstraße in Kreuzberg herrscht kurz nach acht Uhr wieder Ruhe. Die Kinder sitzen in den Klassenräumen der deutsch-türkischen Europaschule, einige türkische Mütter haben sich im Elterncafé im Erdgeschoss versammelt, bevor sie sich in den Wochenendtrubel stürzen wollen. „Die Verhüllten sind von hier weggegangen“, sagen die Frauen, wenn man sie nach dem Kopftuchstreit fragt: Als die meisten Eltern sich im Februar 2001 dafür entschieden, dass die Schule nach dem bekennend atheistischen Schriftsteller und Satiriker Aziz Nesin benannt wird, haben manche Eltern ihre Kinder abgemeldet. Die meisten anderen stehen Lehrerinnen mit Kopftuch ziemlich skeptisch gegenüber. „Ich habe zu viele Mädchen erlebt, die zum Kopftuch gezwungen wurden. Deshalb kann ich nicht dafür sein“, sagt Pervin Tosun (38), die im Mädchenverein „Akarsu“ in Kreuzberg arbeitet.

Doch Frauen, die wie sie denken, sind zumindestens an diesem Tag in dem Berliner Bezirk mit dem höchsten Ausländeranteil in der Minderheit. Wenn freitags auf den Kreuzberger Straßen Hochbetrieb herrscht, prägen Frauen mit Kopftuch das Bild. Schaut man genauer hin, eilen aber auch viele Frauen mit unbedeckten Haaren durch die Märkte und Geschäfte, um ihre Wochenendeinkäufe zu erledigen. Doch auch von ihnen können die wenigsten verstehen, warum eine Lehrerin nicht in islamischer Kleidung vor einer Klasse stehen soll. So sagt die Chefin der türkischen Bäckerei Melek in der Oranienstraße, Sevim Bektas: „Wir sind doch mit Kopftüchern aufgewachsen. Unsere Großmütter und Mütter tragen sie.“ Sie selbst aber bevorzugt offene Haare. Ihr Mitarbeiter Mustafa Aydin fordert „Respekt“ gegenüber dem Kopftuch einer Frau. „Man kann sie doch nicht zwingen, für ihren Beruf ihre religiöse Überzeugung zu verleugnen“, findet er, obwohl er alles andere als strenggläubig ist: „Meine Frau kann von mir aus ihr Kopftuch ablegen und nicht mehr in die Moschee gehen. Ich selbst kenne ja nicht einmal den Weg dorthin.“

Ähnliche Stimmen auf dem türkischen Markt am Maybachufer: „Ich habe keine Probleme mit Kopftüchern. Diese Frauen leben schließlich unter uns“, sagt Nurettin Tanriverdi, der dort einen Geflügelstand hat. Der Vater von drei Söhnen nickt in Richtung einer jungen Verwandten hinter dem Gemüsestand nebenan: „Sie ist modern gekleidet, ohne Kopftuch, und besucht einen Korankurs. Das ist doch nichts Schlimmes“, sagt er.

Eine ältere Frau auf dem Markt jedoch hat klare Vorstellungen von muslimischer Kleiderordnung. Von der Reporterin – ohne Kopftuch – befragt, antwortet sie: „Du musst wissen, was du tust. Für deine offenen Haare wirst du ewig in der Hölle schmoren.“ Denn so heißt es im Koran in Sure 24, Vers 31: „Und sagt zu den gläubigen Frauen: Sie sollen ihre Blicke senken und ihre Scham hüten, ihren Schmuck nicht offen zeigen … Sie sollen ihre Kopftücher über den Brustschlitz ihres Gewandes schlagen…“

Suzan Gülfirat

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