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Stein des Anstoßes. Der Künstler Wolfgang Kraker von Schwarzenfeld brachte den Brocken aus Venezuela nach Berlin. Dort wurde er zum nationalen Kulturerbe erklärt. Foto: dpa

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"Global Stone Project" des Künstlers Wolfgang Kraker: Stein des Anstoßes

Steinerne Kunstwerke sind in verschiedenen Ländern der Welt so aufgestellt worden, dass sie zur Sonnenwende die Sonnenstrahlen bündeln - das soll die Verbundenheit der Völker symbolisieren. Doch von Verbundenheit und Harmonie ist rund die Steine nicht allzu viel zu spüren: Es wird munter gestritten und gezankt.

Am längsten Tag des Jahres, der Sommersonnenwende am Freitag, entsteht im Tiergarten ein Kreis aus Licht. Pünktlich um 13 Uhr fallen die Sonnenstrahlen auf die glatt polierten Oberflächen von fünf Steinen im Osten des Parks und vereinen sie zu einem großen Ganzen. Das Kunstwerk soll die Verbundenheit aller Völker symbolisieren – wenn die Liebe nicht wieder dazwischenfunkt.

Ende der Neunziger brach der Künstler Wolfgang Kraker von Schwarzenfeld in seinem Segelboot auf, um von jedem Kontinent einen Stein in den Tiergarten zu bringen. In den Herkunftsländern der Felsen platzierte er immer einen Schwesterstein als Gegengeschenk. Im richtigen Winkel aufgestellt sollen sie das Mittagslicht der Sommersonnenwende reflektieren und quasi nach Berlin führen.

Der Betrachter muss das „Global Stone Project“ mit seiner eigenen Vorstellungskraft vollenden, sagt der Künstler selbst, der heute Mittag im Tiergarten einen kurzen Vortrag halten wird. Seit mehr als zehn Jahren liegen dort nun ein 20-Tonnen-schwerer Granitblock aus Südafrika, ein weißer Kristall aus Russland und drei weitere Steinformationen. „Hoffnung“, „Frieden“, „Erwachen“ und „Vergebung“ sind in sieben Sprachen darauf eingemeißelt. Auf dem blutroten Stein aus Venezuela steht groß „Liebe“. Er ist es, der immer wieder Ärger macht.

Wenn der 80-jährige Schwarzenfeld über die „Liebe“ redet, muss er weit ausholen. Schon bei der Ausfuhr 1998 gab es Probleme, als man dachte, der Sandstein sei in Wahrheit ein wertvoller Jaspis, obwohl der Künstler alle zur Ausfuhr nötigen Papiere in der Tasche hatte. Eine venezolanische TV-Dokumentation aus dem Jahr 2009 brachte das Fass dann wieder zum Überlaufen. Sie behauptete, der Brocken heiße in Wahrheit „Kueka“, beherberge ein versteinertes Liebespaar, und sei für die Mythologie der Pemón, die Ureinwohner, die im ursprünglichen Gebiet des Steins leben, unverzichtbar. Frei erfunden, sagt der Ethnologe Bruno Illius, der lange mit den Pemón lebte.

Egal ob Wahrheit oder Lüge, die Pemón marschierten vor die deutsche Botschaft in Caracas und forderten Kueka zurück. Im Frühjahr 2012, als der öffentliche Druck seinen Höhepunkt erreichte, erklärte das venezolanische Parlament den Stein zum nationalen Kulturerbe. Man werde ihn umbringen, riefen Demonstranten Schwarzenfeld im Tiergarten zu. Seitdem hat sich die Lage beruhigt.

Letzten August gab es ein Treffen zwischen Schwarzenfeld und dem venezolanischen Botschafter. Er könne den Stein nicht einfach zurückgeben, sagte Schwarzenfeld damals. „Der Schwesterstein in Caracas ist inzwischen von seinem Platz entfernt wurden. Wenn der im Tiergarten auch fehlt, ist das Kunstwerk wie eine goldene Uhr, in der zwei Teile fehlen. Sie kann wunderschön sein, aber sie funktioniert nicht.“

Ein Kompromiss wäre, schlug der Künstler vor, dass man zwei andere geeignete Steine auf dem amerikanischen Kontinent finde – und Venezuela die Kosten der Ausgrabung über eine Stiftung finanziere. Seitdem habe sich die Botschaft nicht mehr gemeldet. „Das ist noch nicht vorbei, da kommt noch was“, sagt Schwarzenfeld. „Aber wenn ich zurückblicke, muss ich sagen: Der Konflikt gehört zum Projekt.“

Kalle Harberg

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