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Glosse Hund und Herr (1): An der Leine

Helmut Schümann hat keinen Pubertisten mehr, dafür einen Hund. An dieser Stelle schreibt er immer Sonnabends über sein Leben als Welpenassistent. Hier Glosse Nummer 1.

Manchmal zieht Wilmer. Er ist noch klein, der Welpe, er muss noch viel lernen. Zum Beispiel, bei Fuß an der Leine zu gehen. Als Wilmer noch kleiner war als jetzt, hat er noch nicht gezogen. Einmal, da war Wilmer erst drei Tage bei Dr. Frauchen und dem Welpenassistenten und achteinhalb Wochen alt, ist der Assistent mit Wilmer zum Schlachtensee gefahren. Der Kleine soll es ja mal besser haben, aus Wilmers Dorf raus- und unter Seinesgleichen kommen – in Gesellschaft. Also Schlachtensee, weil es dort so viele Hunde gibt, solange es die noch da gibt und die Auslaufzone noch nicht gesperrt ist.

Außerdem will Wilmer ein Retriever werden, wenn er mal groß ist. Und die sind Wassertiere. Wilmer ist eigentlich genetisch dazu verdonnert, abgeschossene Enten und Fasane aus dem Wasser zu holen. Was Wilmer aber nicht machen will, zum einem, weil der Assistent das mit ihm schon vereinbart hat, zum anderen, weil Wilmer ein viel zu großes Herz hat. Wunder der Evolution.

Als nun der Assistent den kleinen Wilmer am Schlachtensee aus dem Fahrradkörbchen gehoben hatte, damit er ein paar Meter Auslauf habe, waren da so viele Seinesgleichen und so viele Menschen, dass es Wilmer ganz blümerant wurde. Er hockte sich vor den Assistenten und schaute zu ihm hoch wie weiland der Pubertist, als er noch weit davon entfernt war, Pubertist zu sein und sich fürchtete: „Papa, Arm!“ Der Welpenassistent trägt Wilmer oft, so ein kleiner Welpe darf noch nicht viel laufen. Treppe runter, Treppe rauf, bis die Gelenke stabil sind, soll das so gehen. Das sind sie vielleicht in einem Jahr. Bis dahin wird Wilmer etwa 30 Kilo wiegen. Na, super, denkt der Welpenassistent, Treppe rauf, Treppe runter, das wird auf meine Gelenke gehen, denkt der Welpenassistent. Aber nun zieht Wilmer erst mal. Nicht immer, das klappt eigentlich schon ganz gut, dieses bei Fuß an der Leine gehen.

Der Assistent ist, anders als Dr. Frauchen, unerfahren was Welpen angeht. Er hat sich in diversen Foren zur Hundeerziehung umgesehen. Hundeerzieher gibt es in Deutschland ungefähr so viele wie Fußball-Bundestrainer. Jeder, der schon mal einen Ball gesehen hat, ist potentieller Bundestrainer. Offensichtlich ist auch jeder, der schon mal einen Hund gesehen hat, ausgebildeter Hundeflüsterer. Und alle haben die Weisheit aus riesigen Näpfen gefressen. Einer dieser Hundeversteher empfiehlt, den Baum zu machen, wenn Wilmer zieht. Den Baum machen heißt, stehen zu bleiben, starr und stumm wie ein Baum. Ob der Assistent auch die Arme zu Ästen heben soll, wird im Ratschlag nicht erörtert. Ohnehin ist der Assistent unsicher, ob er diesen Erziehungstipp anwenden soll. Wenn ich jetzt den Baum mache, denkt er, was denkt dann Wilmer? Dass der Assistent jetzt ein Baum ist, den er zu behandeln hat, wie Dr. Frauchen ihm beigebracht hat, einen Baum zu behandeln? Dann kommt Wilmer zurück, folgt brav dem Erlernten. Und wenn Wilmer dann das Hosenbein des Assistenten vollgepieselt hat, soll der tapfere Welpenassistent dann wieder „feiner Wilmer“ sagen, „prima Wilmer, fein gepieselt“? Dieser Erziehungsansatz scheint noch nicht ganz durchgedacht zu sein, denkt der Welpenassistent und beschließt, auf keinen Fall den Baum zu machen. „Wilmer, hier“, sagt er, „hier bei Fuß!“ Wilmer kommt. „Feiner Wilmer, prima, Wilmer!“ Wilmer zieht. Zum nächsten Gebüsch. Wilmer muss pieseln.

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