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Jobs statt Gras. Die Flüchtlinge dealen nicht, weil ihnen der Job gefällt. Sie dealen, weil sie Geld brauchen. Unser Autor plädiert darum für eine Ausnahmeregelung für Kreuzberg, die ermöglicht, dass die hiesigen Flüchtlinge sofort legal arbeiten dürfen

© dpa

Görlitzer Park in Berlin: Jobs statt Gras!

Mehr Polizei am Görlitzer Park? Ein Coffeeshop in Kreuzberg? Unser Autor wohnt direkt in der Drogen-Problemzone, gerade versuchten Dealer, sein Haus anzuzünden. Er hat einen anderen Vorschlag: ein Bündnis für Arbeit.

Ich wohne in dem Haus in der Skalitzer Straße, in dessen Souterrain am vergangenen Wochenende zwei Drogendealer durch Messerstiche schwer verletzt worden sind. Am Morgen darauf kamen Freunde der Dealer zurück und verwüsteten das Café. Gegen 14 Uhr kamen sie noch einmal wieder und legten Feuer. Zum Glück wurde es schnell gelöscht. Viele meiner Nachbarn waren zu dem Zeitpunkt zu Hause, ich auch.

Die Taten habe ich nicht beobachtet. Über die Vorgeschichte kenne ich viele Gerüchte, aber wenige Fakten. Ich weiß nur: Zwei junge Menschen haben fast ihr Leben verloren, und unser Haus wurde angesteckt. Es reicht. Es muss sich was ändern in Kreuzberg.

Bisher haben mich die Dealer vor unserer Tür einfach nur genervt. Man kann sich morgens kein Croissant holen, ohne Drogen angeboten zu bekommen. Das war lästig, nicht bedrohlich. Jetzt hat sich das Gefühl geändert. Wir haben erfahren: Selbst wenn es nicht um uns geht, können wir schnell in die Gewalt geraten, welche die Szene mit sich bringt. Wir fühlen uns unsicher – ich, unsere Hausgemeinschaft, auch die anderen Leute in der Nachbarschaft, mit denen ich rede. Bei manchen reicht das Wort „unsicher“ nicht: Sie haben Angst.

Dass ich verärgert bin über die grüne Lokalpolitik, muss ich nicht extra betonen. Genauso ärgere ich mich über Innensenator Frank Henkel, der ewig seiner Verantwortung ausgewichen ist, sich jetzt aber als starker Mann profilieren will. In den letzten Nächten stellte er Mannschaftswagen an die Straßenecken. Von mir bekommt er dafür keinen Applaus. Wieso brauchte es diese Tragödie, damit der Staat hier seine Aufgaben wahrnimmt?

Ja, ich wünsche mir, dass die Polizei mehr Präsenz zeigt. Aber das löst das Problem nicht, es kaschiert nur die Symptome. Wenn die Wannen wegfahren, ist alles unverändert.

Tatort. Vor dieser Bar in der Skalitzer Straße wurden zwei Jugendliche im Streit mit dem Wirt verletzt. Am Morgen darauf kamen Freunde der Dealer zurück und verwüsteten das Café. Gegen 14 Uhr kamen sie noch einmal wieder und legten Feuer. Zum Glück wurde es schnell gelöscht.
Tatort. Vor dieser Bar in der Skalitzer Straße wurden zwei Jugendliche im Streit mit dem Wirt verletzt. Am Morgen darauf kamen Freunde der Dealer zurück und verwüsteten das Café. Gegen 14 Uhr kamen sie noch einmal wieder und legten Feuer. Zum Glück wurde es schnell gelöscht.

© dpa

Ich befürworte eine liberale Drogenpolitik. Soll jeder rauchen, was er mag. Lasst uns in ganz Deutschland Coffeeshops aufmachen! Aber bitte nicht einen einsamen in Kreuzberg, wie es die Grünen vorschlagen. Vielleicht deute ich die Stimmung falsch, aber ich habe den Eindruck, nach noch mehr Drogentouristen herrscht im Kiez keine Sehnsucht.

Unternehmer, Sozialarbeiter, Rechtsberater und Behörden müssten helfen, legale Jobs zu finden

Abgesehen davon bezweifle ich, dass ein einzelner Coffeeshop an der Situation auch nur ein Jota ändern würde. Bürgermeisterin Monika Herrmann argumentiert, eine legale Möglichkeit des Drogenerwerbs würde den Straßenhandel austrocknen. Mich überzeugt das nicht. Im Görlitzer Park konkurrieren hunderte Dealer um Kunden – die gehen doch nicht nach Hause, nur weil ein weiterer Wettbewerber auf den Markt kommt.

Sie könnten es sich gar nicht leisten. Die Flüchtlinge, über die wir sprechen, dealen nicht, weil ihnen der Job gefällt. Sie dealen, weil sie Geld brauchen. Wenn man mit ihnen diskutiert, fällt kein Wort so oft wie „sorry“. Einer der Jungs vor meiner Tür sagt über die Lage: „We know this is crazy.“ Sie sind nicht stolz darauf. Aber sie brauchen die Kohle.

Ich glaube, wir müssen in eine andere Richtung denken, damit sich die Zustände bessern. Man wird die Dealer nicht von der Straße bekommen, ohne den Flüchtlingen eine Perspektive zu geben. Wenn die Lokalpolitik schon bereit ist, ihre Energie in einen Ansatz zu stecken, der die aktuelle Gesetzeslage aushebelt, hätte ich einen anderen Vorschlag: Ich plädiere für eine Ausnahmeregelung für Kreuzberg, die ermöglicht, dass die hiesigen Flüchtlinge sofort legal arbeiten dürfen. Ohne Karenzfrist, ohne Vorrangprüfung. Anerkannte Flüchtlinge sowieso – aber auch diejenigen, deren Asylverfahren noch laufen.

Mir ist klar, dass das ausländerrechtlich schwierig ist. Ich leide auch nicht am Stockholm-Syndrom und möchte die Leute belohnen, die gerade einen Brandanschlag auf unser Haus verübt haben. Um Sentimentalitäten geht es nicht. Sondern um kühle ökonomische Logik und die Anerkennung einer Wirklichkeit: Viele Flüchtlinge arbeiten – so oder so. Derzeit leider oft in Jobs, von denen weder die Gesellschaft noch sie selbst profitieren.

Wie wäre es mit einem Bündnis aus Flüchtlingsvertretern, lokalen Unternehmern, Sozialarbeitern, Rechtsberatern, Ausländer- und sonstigen Behörden, das hilft, die Leute in legale Jobs zu bringen? Das wäre mal ein Pilotprojekt, für das es sich zu kämpfen lohnt.

Dieser Beitrag ist als Rant in unserer Samstagsbeilage Mehr Berlin erschienen.

Georg Fahrion

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