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Berlin: Goldene Zeiten für Auge und Ohr

Ein Fotoband führt in die Zeit von Marlene Dietrich und Claire Waldoff – und liefert die Musik gleich mit

Auf der regennassen Friedrichstraße spiegeln sich die Leuchtreklamen. Amüsierfreudige Berliner strömen ins Große Schauspielhaus, in den Admiralspalast oder zum Kabarett „Größenwahn“. Auf der Bühne schwingen barbusige Tänzerinnen ihre Beine, am Klavier sitzen Friedrich Hollaender oder Max Reinhardt, es singen Claire Waldoff oder die Comedian Harmonists. Ihre Lieder handeln von Liebe und Sehnsucht, gemischt mit wohldosierten Anzüglichkeiten, die Texte stammen von Tucholsky oder Kästner.

So mag es zugegangen sein, in jener Ära, die später das Etikett Goldene Zwanziger bekam. Zu einer Zeitreise in das Nacht- und Kulturleben jener Jahre lädt jetzt ein umfangreiches Hörbuch ein, das die Stimmung der Zeit zwischen den Kriegen mit Fotos, Musik und Texten unterhaltsam wiedergibt. „Cabaret Berlin“ heißt das opulente Werk, das neben mehr als 100 großformatigen Fotos aus den 20er und 30er Jahren vier CDs mit den Werken der wichtigsten Berliner Komponisten jener Jahre enthält.

Es ist eine liebevoll zusammengestellte Einführung in jene Zeit, als Schlager noch Gassenhauer hießen und so eingängig waren, dass für sie bis heute die Zeilen aus einem Lied Ralph Benatzkys gelten, das sich auf einer der dem Buch beigelegten CDs findet: „Was jede Köchin summt, was jeder Kutscher brummt, was jeder kleine Schusterbub pfeift, der Dümmste begreift, ans Idiotische streift, was jeder Säugling brüllt, was jedes Werkel ,spüllt‘, was jeden zur Verzweiflung bringt, bis er’s selber singt.“

Die Fotos des Buchs im Coffeetable-Format nehmen den Leser mit auf einen Streifzug durch eine aufregend moderne Stadt. Erinnerungen an die Pracht von Friedrichstraße, Unter den Linden, Kurfürstendamm und Potsdamer Platz wechseln sich ab mit Porträts von Künstlern, Komponisten und Revuegirls, deren Auftritte so verrucht waren, dass in manchen Nachtbars die Zuschauer Masken trugen, um nicht erkannt zu werden.

Die Texte der gesammelten Lieder sind so anspielungsreich wie die Tänzerinnenposen auf den Fotos und sprechen vom trotzigen Selbstbewusstsein einer Stadt, die Krieg und Not erlebt hat und deren Zukunft ungewiss ist, sodass man sich wenigstens am Abend lustvoll dem Hier und Jetzt hingibt. Da die Begleittexte leider sehr knapp sind, bleibt die Zeitreise jedoch an der Oberfläche. Was man dafür anschaulich vorgeführt bekommt, ist „die schönste Fassade einer turbulenten und tragischen Zeit“, wie Jörn Müller in der Einführung schreibt.

Viele der Lieder in dieser Sammlung sind Klassiker, die auch heute noch Ohrwurmqualität haben. Friedrich Hollaenders „Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt“ in der Interpretation von Marlene Dietrich gehört dazu oder „Liebling, mein Herz lässt dich grüßen“ von Werner Richard Heymann, gesungen von den Comedian Harmonists. Daneben gibt es viele heute weitgehend unbekannte Lieder zu entdecken, die herrlich die Atmosphäre der Zeit wiedergeben, so das ironisch-selbstmitleidige „Guck doch nicht immer nach dem Tangogeiger hin“, gesungen von Curt Bois.

Ergänzt wird die Sammlung durch Porträts der fünf ausgewählten Komponisten. Neben Hollaender, Benatzky und Heymann sind das Rudolf Nelson und Mischa Spoliansky. Ihre Biografien stehen auch für das brutale Ende der Epoche: Sie alle waren jüdischer Herkunft oder hatten jüdische Frauen und emigrierten 1933 nach England oder in die USA. Das war neben der persönlichen Tragödie, das zeigt dieses Buch ebenfalls, auch ein schmerzlicher Verlust für Berlin.

— Cabaret Berlin.

Fotoband mit 4 CDs und zweisprachigem Begleittext (Deutsch und Englisch), Verlag Edel Classics / Ear Books, 120 Seiten, 30 Euro.

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