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Berlin: Goldenes Händchen – Goldene Nase

Die Kostümdirektorin des Friedrichstadtpalastes hört nach 32 Jahren auf und erhält einen Modepreis

Ihr Arbeitsplatz im Friedrichstadtpalast ist verwaist – seit dieser Woche ist Ingrid Böttcher im Urlaub. Die Kostümdirektorin denkt auch nicht an Rückkehr, denn die freien Tage reichen bis zum 31. Juli, an dem ihr Arbeitsvertrag ausläuft. Freiwillig verabschiedet sie sich von der Bühne, die bisher ihre Welt war – mit ihren 57 hätte sie locker noch ein paar Jahre arbeiten können. „Aber mein Mann sitzt seit acht Jahren allein daheim“, begründet Ingrid Böttcher ihren Entschluss, das Haus zu verlassen, in dem sie über 32 Jahre künstlerisch wirkte. Und in dem sie auch ihren zweiten Mann Dieter Fölber kennen lernte, den ehemaligen Werkstattleiter in der Friedrichstraße. Der angelt als Rentner – seine Frau dagegen träumt von „verknurzelten Baumstämmen“, die sie statt schöner Menschen künftig malen will. Draußen in Erkner, wo sie seit ein paar Jahren im Grünen wohnen. „Eigentlich bin ich ja eine Berliner Pflanze, in Weißensee geboren und in Pankow aufgewachsen“, sagt sie und schwärmt dann von Bohnen, Erdbeeren und Kräutern im Garten, in dem die Blattläuse augenblicklich ihre ärgsten Feinde sind.

Viele Feinde hat die Frau mit der sanften Stimme wohl nie gehabt. Jetzt will sie auch keinen Druck mehr, sondern frei ihr „drittes Leben“ genießen. Druck hatte sie genug – etwa 650 neue Kostüme werden für eine Revue benötigt, 130 bis 170 Entwürfe bedarf es dazu. Wenn das Publikum im Friedrichstadtpalast von der Pracht der Kostüme ebenso schwärmt, wie von den 64 Tänzern, so ist das mit ein Verdienst von Ingrid Böttcher. Wie viele Kostüme sie in den vergangenen 32 Jahren entworfen hat, vermag sie nicht zu sagen – „das sind Tausende“.

Eines haben alle Kostüme gemeinsam – sie sollen nicht nur Abend für Abend 1900 Zuschauer in einen Sinnesrausch versetzen, sie müssen auch funktionieren, ob hauteng oder üppig. Jeder Kostümentwurf wird nach Maß umgesetzt – von den Theaterschneidern, den Putz- und Schuhmachern, bis hin zu den Ankleidern und den Maskenbildnern. Ab 1990 war es Ingrid Böttchers Aufgabe als Kostümdirektorin, das alles termingerecht zum guten Ende zu bringen. „Nebenbei“ machte sie aber trotzdem immer noch das, wofür sie 1972 im Friedrichstadtpalast angestellt wurde – sie entwarf Kostüme. Für Revuen wie „Classics“, „Cinema“, Wunderbar“ und „Traumvisionen“, am liebsten aber für die Kinderrevuen und da dann auch das Bühnenbild.

Dass sie ans Theater wollte, stand für die Tochter des Verwaltungsleiters der Komischen Oper schon früh fest. Mit 17 ging sie als Praktikantin nach der 10. Klasse zunächst an die Volksbühne, später zum Friedrichstadtpalast. Dessen legendärer Ausstattungsleiter, der heute 95-jährige Wolf Leder, weckte die Lust des jungen Mädchens zum Kostüm- und Bühnenbild. Tagsüber lernte sie von der Pike auf – rührte Pflanzen- und Knochenleim an und säuberte Eimer. Abends besuchte sie einen Malkurs an der Hochschule für Bildende Kunst in Weißensee. Was sie dort lernte, verhalf ihr mit 20 in Dresden zu einem Studienplatz.

Dem Friedrichstadtpalast – damals noch im berühmten alten Haus in der Straße „Am Zirkus“ – hielt sie von Dresden aus die Treue. „Freu dich auf Liebe“ hieß 1968 ein Stück mit dem DDR-Star Fred Frohberg in der Hauptrolle. „Schrecklich“, erinnert sich Ingrid Böttcher an die Inszenierung, für die sie im 4. Studienjahr Kostüme und Bühnenbild entworfen hatte. „Mieter, Mimen und Musik“ hatte 1969 Premiere – das Bühnenbild war ihre Diplomarbeit. Ihre private „Diplomarbeit“ mit einem Kommilitonen und erstem Ehemann war 1970 ihr Sohn Till, der später Theatertischler lernte.

1972 kam Ingrid Böttcher als Kostüm- und Bühnenbildnerin an den Friedrichstadtpalast zurück, der 1984 in die Friedrichstraße umzog. Am 27. Juni steht die Kostümdirektorin dort zum letzten Mal auf der Bühne. Nach der Vorstellung von „Revuepalast – die Palastrevue zum Zwanzigsten“ wird Ingrid Böttcher coram publico geehrt. Für ihre kreativen Leistungen in der Modestadt Berlin bekommt sie eine Sonderausgabe der „Goldenen Nase“. So heißt der Kritikerpreis, den eine Jury Berliner Modejournalisten seit 1976 vergibt – 2004 erstmalig im Bereich Bühnenkostüm an Ingrid Böttcher.

Außer der „Goldenen Nase“ nimmt sie ansonsten nur ihre Kostümzeichnungen zur Erinnerung mit heim. Und einen dramatischen Kopfputz – den hat noch ihr verehrter Wolf Leder entworfen. In Venedig will sie damit auftreten – zum Karneval. Dazu hat sie jetzt endlich einmal Zeit.

Heidemarie Mazuhn

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