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Berlin: Good Bye, Nikolai!

Das sowjetische Ehrenmal im Treptower Park wird saniert. Gestern schwebte der bronzene Soldat vom Sockel

Am Freitagmorgen um Punkt neun Uhr geht es dem Soldaten im Treptower Park an den Kragen: Ein riesiger Autokran reckt seinen Ausleger von hinten über das 30 Meter hohe Monument des Rotarmisten mit dem Kind auf dem Arm. Surrend senkt sich eine Stahltrosse. Zwei Bauarbeiter, die auf dem Gerüst in Kinnhöhe der Bronzeplastik gewartet haben, greifen nach dem Seil. Zu Füßen des Soldaten steht, vergleichsweise klein, Senatsbaudirektor Hans Stimmann mit dampfendem Atem vor einem Mikrofon und sucht nach Worten, die groß genug sind für diesen Ort. „Wir geben uns große Mühe, dem Respekt, den dieses Denkmal verdient, gerecht zu werden“, sagt Stimmann und spricht von einer „Verschickung zur Kur“ bis zum nächsten Frühjahr.

Kurort ist das Städtchen Samtens auf der Insel Rügen, und der Patient ist das Abbild von Nikolai Iwanowitsch Massalow. Der Feldwebel der Roten Armee rettete am 30. April 1945 im Kampf um Berlin ein dreijähriges Mädchen aus dem Kugelhagel an der Potsdamer Brücke in Tiergarten. Von vermutlich vier vergleichbaren Heldentaten der letzten Kriegstage gilt die von Massalow als einzige belegte.

Nach Stimmann tritt der russische Botschafter Sergej B. Krylow ans Mikrofon. „Die Denkmäler altern wie die Menschen“, sagt er. Nicht für die Toten sei das Mahnmal wichtig, sondern für die Lebenden. Zu Füßen des bronzenen Soldaten liegen über 5000 in Berlin gefallene Sowjetsoldaten.

Während der Botschafter spricht, verankern Bauarbeiter die Stahltrosse am Kopf der 40 Tonnen schweren Bronzefigur. Er soll als erstes von sieben Segmenten auf den wartenden Tieflader gehoben werden. Um 9.16 Uhr schwebt der Kopf durch die Morgensonne davon. Die anwesenden Fernsehmenschen, darunter mehrere russische Kamerateams, richten ihre Objektive himmelwärts. Bauleute zücken ihre Fotoapparate, der Bronzekopf dreht sich ganz langsam um die eigene Achse. Allmählich wendet er den am Boden Versammelten sein Gesicht zu. Seine Gesichtszüge – denen des jungen Stalin nicht unähnlich – sind markant, sein Blick ist durchdringend und entschlossen. Viel intensiver noch als der des Oktoberrevolutionärs im Film „Good Bye, Lenin!“, dem dieser Moment entnommen scheint. Zwei junge Frauen betrachten das Gesicht. „War ein Hübscher, wa?“, sagt die eine zur anderen.

Ganz vorsichtig setzt der Kranführer den Kopf auf bereitliegende Holzbohlen. Massalows Haupt reicht den Rügener Bauleuten bis zur Brust. Gerd Lüdtke, Geschäftsführer der Metallbaufirma, schaut mit ernster Miene zu. 20 Spezialisten hat er eingeplant, die das Denkmal im Zwei- oder Dreischichtbetrieb restaurieren sollen: 2200 Schraubverbindungen werden erneuert, eine Edelstahlkonstruktion zur Stabilisierung eingebaut, das Material gereinigt und hinterher wieder optisch gealtert. Zurück kommt das Monument in drei Teilen – per Schiff.

Der Soldat steht seit 1949 im Treptower Park. Ein Jahr nach Kriegsende begannen die sowjetischen Besatzungstruppen mit der Planung der Gedenkstätte. Zum vierten Jahrestag der Befreiung wurde sie eingeweiht und von 1968 bis 1974 schon einmal saniert. Die jetzigen Kosten – 1,5 Millionen Euro nur für das Monument – trägt die Bundesrepublik.

Nikolai Iwanowitsch Massalow wurde 1965 zum Ehrenbürger von Berlin ernannt. Kurz vor Weihnachten 2001 starb er 79-jährig in seinem Heimatdorf Tjaschin in Sibirien. In Deutschland leben wollte er nie.

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