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Stadtbilder. Schon 2008 fuhren Google-Autos mit Kameras durch Berlin und fotografierten Fassaden für den Dienst „Street View“.

© ddp

Google Street View: Geheimdienstler – ganz unverfremdet

Die Aufnahmen von "Google Street View" zeigen bald ganz Berlin im Internet: Wie Senatsbehörden und Bundesministerien reagieren wollen.

Pixeln oder nicht?, lautet die Frage, vor der viele Berliner in diesen Tagen zum ersten Mal in ihrem Leben stehen: Ende des Jahres will Google seinen Bilderdienst „Street View“ für die 20 größten deutschen Städte starten. Und am Montag soll das Online-Werkzeug aktiviert werden, mit dem sich per Mausklick gegen die Abbildung der heimischen Hausfassade protestieren lässt. Die harsche Kritik von Verbraucherschutzministerin und Datenschutzbeauftragten dürfte manchem den Eindruck vermittelt haben, Widerspruch sei die erste Bürgerpflicht. Bald, so schien es, könne jeder Einbrecher die heimische Dachluke vorab online begutachten, um im entscheidenden Moment das richtige Werkzeug parat zu haben. Angesichts der allgemeinen Ratlosigkeit ist ein Blick auf die Details der Google-Bilderdienste ebenso aufschlussreich wie der Umgang von Sicherheitsbehörden mit dem Thema.

Justizsenatorin Gisela von der Aue (SPD) lässt ausrichten, sie wolle ihr Privathaus pixeln lassen. Für den Verwaltungssitz neige sie ebenfalls dazu, während die Frage nach Auskunft einer Justizsprecherin für andere Gebäude der Behörde noch geprüft wird. Denkbar wäre etwa, die Abbildung der Gerichtsgebäude zu dulden, aber Bilder von Gefängnissen löschen zu lassen. Zumal es ja sein könnte, dass in Tegel gerade das Tor für einen Häftlingstransport offen stand, als das Google-Foto-Auto vorbeifuhr.

Nach Auskunft von Senatssprecher Richard Meng prüfen die Senatsbehörden unter Regie der Innenverwaltung, was sie zu verbergen haben. Ähnlich äußert sich ein Sprecher der Flughäfen. Beim Datenschutzbeauftragten hält man sich auch mit Ratschlägen für Privatleute zurück und erinnert nur allgemein an das „Recht auf informationelle Selbstbestimmung“. Das soll einfach heißen: „Obacht, Leute!“ Formal liegt die Sache bisher ohnehin beim Datenschutzbeauftragten von Hamburg, weil sich dort die deutsche Google- Niederlassung befindet.

Der Bundesnachrichtendienst (BND) baut an der Chausseestraße zwar unter strengen Sicherheitsvorkehrungen, sieht aber „keine Notwendigkeit“, seine Liegenschaften pixeln zu lassen. Die jetzige Zentrale im bayrischen Pullach und die Berliner Außenstelle sind auf den schon 2006 aufgenommenen Satellitenbildern von „Google Earth“ bestens einsehbar – genau so wie der Garten des Bundeskanzleramtes, die Chemikalientanks in der PCK- Raffinerie in Schwedt und das Pentagon bei Washington. Nur ganz wenige militärische Objekte sind gepixelt – etwa die Nato-Basis Geilenkirchen in Nordrhein- Westfalen, die beim Heranzoomen nach einem Gemälde von Monet aussieht, aber nicht mehr nach Flughafen. Klar erkennbar ist dagegen das Bundesverteidigungsministerium im Bendlerblock – ebenso wie übrigens das Gefängnis in Tegel. Und je länger man auf die Bilder schaut, desto klarer wird: Anhand der Satellitenfotos lassen sich viel mehr „Interna“ – etwa die Lage von Wegen und Dachluken – erfahren als mit den Street-View-Bildern, die im Vorbeifahren von der Kamera auf dem Autodach aufgenommen wurden.

Street View zeigt eher Peinliches als Staatsgefährdendes, wie eine virtuelle Runde durch bereits freigeschaltete Länder zeigt: Ein dicker Bauch unterm gepixelten Kopf im Vorgarten, ein verrumpelter Carport, ein Blick ins Dekolleté einer Frau, die sich gerade bückt. Wer die Leute kennt, erkennt sie auch – an Figur oder Kleidung. Wirklich unkenntlich sind nur Autonummernschilder.

Nach Auskunft von Google-Sprecher Stefan Keuchel ließ das Unternehmen eigens eine Software entwickeln, die Gesichter und Nummernschilder automatisch unkenntlich macht. Das funktioniere „zu weit über 90 Prozent“. Wenn nicht, könne man in jedem Bild die Funktion „ein Problem melden“ anklicken und Google darauf hinweisen. Der Widerspruch sei auch nach dem Start von Street View jederzeit möglich.

Schon jetzt wird das Unternehmen aus Deutschland mit tausenden Widersprüchen konfrontiert. „Häufig kommen die Widersprüche von Leuten, die Street View überhaupt nicht kennen“, sagt Keuchel. Ein Nein sei unwiderruflich, weil Google auch die Rohdaten des Bildes lösche – und so schnell bestimmt nicht wieder die ganze Stadt fotografieren wird. Dann gibt es also keine Chance mehr, Freunden vor deren Besuch den Weg zum Klingelschild per Google zu weisen oder die Eigentumswohnung beim Verkauf mit einem Online-Bild anzupreisen.

Laut einer Emnid-Umfrage sehen 41 Prozent der Deutschen eher die Vorteile von Street View, während 39 Prozent skeptisch sind. Pech hat, wer mit einem Neinsager zusammen wohnt: Der Widerspruch eines einzigen Mieters reicht nach Auskunft von Google, um das ganze Haus pixeln zu lassen – auch wenn es 20 Etagen und 160 Wohnungen hat.

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