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In der Borsigstraße in Mitte entdeckte Twitternutzer Aram Bartholl diesen jungen Mann. Er läuft etwa 100 Meter hinter dem Google-Auto her.

© Google Street View

Google Street View in Berlin: Banal, skurril, intim - und sommerlich

Von Karow bis Kladow, von Wannsee bis Wilhelmsruh: Google hat die ganze Stadt fotografiert und zeigt die Bilder nun im Internet.

Der Mann in der Borsigstraße sieht wütend aus, er klatscht voller Empörung die Hände und will das Auto verscheuchen. Immer wieder ist er zu sehen, denn das Auto, dem er schimpfend hinterherrennt, hat eine Fotokamera auf dem Dach. Es ist das Auto von „Google Street View“.

Mit diesem Internetdienst ist die ganze Stadt seit gestern bequem am Bildschirm abzufahren, von Karow bis nach Kladow, von Wannsee bis Wilhelmsruh. Nicht jeder findet das gut, deshalb schimpft der Mann wohl auch in der Borsigstraße in Mitte (was ihn erst richtig berühmt gemacht hat in den Internet-Blogs), deshalb haben viele ihre Hausfassaden verpixelt. Mal sind es Villen in Zehlendorf, die nur verschwommen abgebildet sind, mal Obergeschosse in der Kastanienallee oder der Pariser Straße – während die Cafés im Erdgeschoss klar zu erkennen sind. Nicht mal der Bundesnachrichtendienst hat seine Baustelle in der Chausseestraße verpixelt. Macht ja auch keinen Sinn, denn der Bauzaun verdeckt den Blick in den Keller. Im Sommer 2008 war der BND-Bau nämlich noch nicht so weit.

Aus jenem Sommer stammen die Aufnahmen von Google Street View, das am Donnerstagmorgen in 20 deutschen Städten an den Start gegangenen ist. Woher man das Aufnahmedatum kennt? Zum Beispiel vom Zoopalast, an dem für den Kerkeling-Streifen „Kung Fu Panda“ geworben wird, während um die Ecke im Theater Westens das Musical „Elisabeth“ läuft. Und weil am Flughafen Tempelhof noch gelbe Taxis auf Fluggäste warten. Der wurde erst im Oktober geschlossen.

In Minutenschnelle geht es von Osten nach Westen, von Norden nach Süden, im Gegenverkehr durch die Tiergartentunnelröhre (ohne Unfall!) und rauf auf die Ebertstraße, wo plötzlich die Ordner vor einem stehen, die nur die Fans der Fußball-EM 2008 am Zaun vorbeilassen. So richtig hochaktuell ist Google Street View also nicht. Vom 119 Meter hohen „Zoofenster“-Hochhaus ist erst die Baugrube zu sehen – doch die Bauten sind ja nur das eine. Spannend sind viel mehr die kleinen Geschichten am Wegesrand: Da ist zum Beispiel der Mann in Prenzlauer Berg, der an diesem Tag sein Auto repariert hat. Er taucht gleich mehrmals auf, er muss sich also bewegt haben, während die Kamera ganz viele Bilder im Umkreis von 20 Metern schoss. Der Mann kramt mal in der Werkzeugkiste, mal fummelt er am Rücklicht rum, dann telefoniert er wieder. Nur ob der Freizeitmechaniker erfolgreich war, erfährt man nicht – da war Google schon weg. Pech.

Der Dienst kann ziemlich unterhaltsam sein, man kann seine Freunde suchen und sich selbst sowieso, sein Auto, seine Lieblingskneipe, seine Ex-Wohnung und die Wohnung der Ex. Manchmal wird es allerdings etwas verstörend, wenn man mal eben in private Vorgärten gucken kann, weil die Kamera einfach über die Hecke drüberfotografiert. Wo? Egal. Datenschutz ist wichtig, das wurde dem Konzern immer wieder deutlich gesagt, doch am Donnerstag waren noch Häuser von Menschen zu erkennen, die genau das verboten hatten. Das gab prompt einen Rüffel von Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner (CSU). „Ich habe von Anfang an deutlich gemacht, dass bei einem so weitreichenden Projekt für ein Unternehmen der Grundsatz ,Gründlichkeit vor Schnelligkeit‘ gelten muss“, sagte sie dem Tagesspiegel. „Google hat mehrfach zugesichert, dass sämtliche Widersprüche zuverlässig umgesetzt und alle betroffenen Häuser vor der Freischaltung im Internet unkenntlich gemacht werden.“ Auch Gesichter und Kennzeichen dürften nicht zu erkennen sein. Aigner mahnte: „Entscheidend ist, dass Fehler schnell erkannt und abgestellt werden“. Bis in die Abendstunden kam es immer wieder zu Unterbrechungen bei Google Street View, weil Bilder überarbeitet wurden.

Streit gibt es auch unter direkten Nachbarn. Die einen freuen sich, dass ihr Haus nicht zu erkennen ist, die anderen sind genau darüber sauer. Ein Einwand aber genügt für die Verpixelung, die nicht rückgängig gemacht werden kann. Manchmal bleibt rätselhaft, warum etwas unkenntlich gemacht wurde. So sind in einer Zehlendorfer Wohnstraße einzelne geparkte Autos komplett verpixelt – und an der Potsdamer Straße in Tiergarten sogar Verkehrsschilder. Immerhin, auf allen Bildern scheint die Sonne. Ist ja auch was in diesen nasskalten Tagen.

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