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Mittendrin und doch bei Gott: Mit Kopfhörer und MP3-Player begaben sich jetzt Jugendliche auf "Kreuzfahrt" in der S-Bahn.

© DAVIDS/Dominique Ecken

Gottesdienst in Berliner S-Bahn: Mit Kopfhörern auf Kreuzfahrt

Zwischen Peter Fox und Bibelzitat: Gottesdienst in der S-Bahn, das geht. Dank einer Jugendkirche - und mit MP3-Player. Begegnungen auf einer besonderen "Kreuzfahrt".

Ohne Altar und ohne Priester? Ja, Gottesdienst in der S-Bahn, das funktioniert. 50 katholische Jugendliche haben es am Mittwochabend ausprobiert. Es ist ein Experiment der Jugendkirche „Sam“ des Erzbistums. „Im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes beginnen wir den Gottesdienst“, hatte die Teamerin um 19.15 Uhr am Gleis gesagt. Dann setzen sich alle Kopfhörer auf und schalten den MP3-Player an, der ihnen ausgehändigt wurde. Und dann ab in den Zug.

Statt heiliger Gesänge hört man über die Kopfhörer Menschen von sich erzählen, von ihrem Beruf, davon, was sie an Berlin mögen und was nicht. Es sind Menschen, die täglich mit der S-Bahn zu tun haben: die Kontrolleurin, der Schwarzfahrer, Touristen, ein Obdachloser, ein Musiker. Zwischendurch wird Musik eingespielt - „Guten Morgen, Berlin“ singt da Peter Fox, dann folgt Cro - und manchmal eine Bibelstelle. „Wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, bin ich mitten unter ihnen", wird Jesus zitiert.

Ein halbes Jahr lang haben die Jugendlichen von „Sam“ darüber nachgedacht, wie sie die klassischen Gottesdienstelemente für die S-Bahn übersetzen könnten. Es geht um den Sinn, der dahinter steckt. Was hat die Gottesdienstgemeinschaft, was das Abendmahl oder das Gloria mit den Berlinern zu tun?

Anfangs ist es nicht leicht, sich auf das zu konzentrieren, was über die Kopfhörer kommt. So viele bunte Menschen steigen ein und aus, viele Jugendliche kichern sich zu. Als dann auch noch Fotografen für die Zeitung fotografieren, würden die unbeteiligten Nachbarn so gerne fragen, was los ist. Keiner traut sich. In Neukölln steigt eine Gruppe junger Männer zu. Sie werfen sich in Pose. Auch sie möchten fotografiert werden.

Was würde Jesus in der S-Bahn tun?

Gerade hatte ein rumänischer Akkordeonspieler via MP3-Player erzählt, warum er Musik liebt und warum er auf das Geld der S-Bahn-Gäste angewiesen ist. Da steigt in Prenzlauer Allee ein echter Akkordeonspieler zu. „Ihre Musik will hier keiner hören“, sagt ein Bahn-Sicherheitsmann zu ihm, „schauen Sie, hier haben schon alle Kopfhörer und Musik auf den Ohren.“ Einige Jugendliche schauen ernst und betreten. Eine steckt dem Musiker verschämt einen Euro zu.

In Jungfernheide erzählt der MP3-Player von einer Frau, die mit ihrem Lachen einen ganzen S-Bahn-Wagen angesteckt hat. Lachen schallt über die Kopfhörer. Alle Jugendlichen grinsen. Und tatsächlich lächeln einige Fahrgäste zurück. Nach 60 Minuten ist die „Kreuzfahrt“ von Westkreuz zu Westkreuz zu Ende. „Toll war's“, sagt Josephine Krug, 18, aus Spandau. „Jetzt schaue ich die Leute in der S-Bahn mit anderen Augen an.“

Gott ist mitten unter uns, hatte der MP3-Player am Ende gesagt. Wäre Jesus heute der Obdachlose, die Touristin, würde er vielleicht schwarz fahren?

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