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Berlin: Gottesdienst mit SA-Männern

Eine evangelische Kirche in Mariendorf ist voller NS-Symbolik. Keiner weiß, was mit dem Bau geschehen soll

Die Martin-Luther-Gedächtniskirche in Mariendorf hat eine deutschlandweit einzigartige Ausschmückung. Auf einem elf Meter hohen Triumphbogen vor dem Altarraum sind neben Engeln und Dornenkronen Köpfe von SA-Männern und Soldaten mit Stahlhelmen modelliert. Die Kanzel ziert eine Figurengruppe, die neben Christus einen SA-Mann mit Stiefeln zeigt. Auch am Taufstein erkennt man deutlich die Figur eines Mannes im Militärmantel und SA-Kappe.

Als die Kirche vor 70 Jahren gebaut wurde, war man stolz auf den Schmuck, seit 60 Jahren ist er ein Problem – eines, das jetzt besondere Relevanz erhält. Denn der wuchtige Sakralbau wird nicht mehr gebraucht, die Gläubigen der Gemeinde passen in die kleine Dorfkirche. Außerdem muss die Kirche saniert werden. Der massige Turm, der sich über die Gartenlauben und Einfamilienhäuser erhebt, ist abgesperrt. Die bräunlichen Terrakotta-Platten, mit denen er eingekleidet ist, fallen ab. „Das Ganze bricht auseinander“, sagt Matthias Hoffmann-Tauschwitz, der Leiter des Bauamtes der evangelischen Landeskirche. Aber soll man einen NS-Bau mit solch drastischer Symbolik sanieren, noch dazu mit viel Geld? Soll man ihn abreißen? Die Gemeinde, der Kirchenkreis und die Landeskirche sind ratlos und suchen nach Partnern, die bei der Lösung helfen könnten.

Die Sanierung würde nach Angaben von Baurat Hoffmann-Tauschwitz mehrere Millionen Euro kosten. Die hat die Landeskirche nicht. Den Bau abzureißen, komme aber auch nicht infrage, schließlich will man nicht in den Verdacht geraten, die dunkle Vergangenheit entsorgen zu wollen. Das Landesdenkmalamt rät, man solle prüfen, ob die Kirche nicht ein Denkmal von nationaler Bedeutung sei, so dass womöglich der Bund bei der Sanierung helfen könnte. Das Berliner Forum für Geschichte und Gegenwart empfiehlt, die Gedenkstätten im Land zu fragen, ob sie einen großen Vortragssaal brauchen. Dafür würde sich der Raum am besten eignen, er ist wie ein Kinosaal nach unten abgestuft.

Vielleicht könnte man ihn auch zur eigenen Gedenkstätte umbauen, sagt Hoffmann-Tauschwitz, in der die Geschichte des Protestantismus während des Nationalsozialismus ausgestellt würde. Aber auch das ist nicht einfach. Denn neben den „Deutschen Christen“, die sich 1933 den Nationalsozialisten als Partner an die Seite stellten und die Mehrheit der Protestanten ausmachten, gab es die „Bekennende Kirche“, die die Nazis ablehnte. „Diese Gruppe in einem solchen Raum auszustellen, wäre unerträglich“, sagt Hoffmann-Tauschwitz. Denn der gesamte Innenraum spiegelt die Verquickung von Kirche und Politik, von Protestantismus und Nationalsozialismus, von Führerkult und christlicher Volksgemeinschaft wider.

Im Vorraum schauen sich Martin Luther und Paul von Hindenburg als Terrakottaköpfe an. Luther ist umgeben von strahlenden Messkelchen, Hindenburg von Eichenlaub. „Ein feste Burg ist unser Gott, ein gut Wehr und Waffen, er hilft uns frei aus aller Not, die uns jetzt hat betroffen. Der alt böse Feind mit Ernst es jetzt meint, groß Macht und viel List sein grausam Rüstung ist“, steht in dunkelroten Buchstaben auf den Wänden.

Das Ensemble könnte auch eine Halle zum Andenken an die Gefallenen des Ersten Weltkriegs darstellen. Zumal an der Stelle des Lutherkopfes 1935, als die Kirche geweiht wurde, ein Hitlerkopf hing. Der Reformator wurde von den Nationalsozialisten als einer der großen deutschen Führer und „Volksheld“ vereinnahmt, der sich einer großen Idee rücksichtslos hingegeben habe. Seine gegen Ende des Lebens verfassten antijudaistischen Schriften dienten den Nazis als Vorlage für die Judenvernichtung. Die riesige Orgel auf der Empore wurde erstmals auf dem Reichsparteitag der Nationalsozialisten 1935 in Nürnberg gespielt.

Obwohl die Mehrheit der Gemeinde in den 30er Jahren die „Deutschen Christen“ unterstützte, gehörte der Pfarrer der „Bekennenden Kirche“ an und traute hier sogar 1938 den damals bekannten Schriftsteller Jochen Klepper und seine jüdische Frau Hanna. Nach dem Krieg wurden die Hakenkreuze aus den Terrakotta-Kacheln im Kirchenraum ausgekratzt, von den Symbolen der nationalsozialistischen Volkswohlfahrt „NSV“ blieb nur das S stehen. Bis heute werden hier Gottesdienste gefeiert. Die Gemeinde setzt sich seit vielen Jahren mit dem schweren Erbe auseinander. Es gibt Gedenkgottesdienste für die Opfer des Holocaust. Seit 1987 hängen Collagen eines polnischen Künstlers im Kirchenraum, die zeigen, wohin die nationalsozialistische Politik führte: in die Vernichtungslager und auf die Schlachtfelder.

Das obere Foto zeigt einen Ausschnitt aus dem Triumphbogen vor dem Altarraum. Darauf sieht man einen Adler, dessen Klauen früher ein Hakenkreuz hielten. Man hat es ausgekratzt. Ebenso wurde mit diesem Symbol auf dem Fußboden verfahren. Das untere Foto zeigt den Kirchenraum mit gewölbter Decke, der einem Kinosaal ähnelt.

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