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Berlin: Grenzfragen der Toleranz

Wie fremdenfeindlich ist Berlin? Klaus Wowereit meint: „Es gibt keine No-go-Areas“

Nicht überall in Deutschland ist die Welt zu Gast bei Freunden, wie das Motto der Fußball-WM verspricht. Vor vier Wochen hatten der Berliner Afrikarat und die Internationale Liga für Menschenrechte gewarnt, es gebe in Berlin und Brandenburg so genannte „No-go-Areas“ – Gegenden, in die Dunkelhäutige wegen der Gefahr fremdenfeindlicher Angriffe lieber keinen Fuß setzen sollten.

Die Warnung des früheren Regierungssprechers Uwe-Karsten Heye, dass Farbige einige Gebiete in Brandenburg besser meiden sollten, empfindet Yonas Endrias, Mitglied des Afrikarats und Vizepräsident der Internationalen Liga für Menschenrechte, als weitere Bestätigung. „Heye hat mit seiner Aussage Mut gezeigt. Er ist einer der wenigen.“ Die empörten Reaktionen, die Heye entgegenschlugen, bezeichnet Endrias als „dumm und deplatziert“. Der Menschenrechtler und Politologe wirft den Politikern vor, von den rassistischen Problemen zu wissen, sie aber zu verharmlosen. Dass Innensenator Ehrhart Körting (SPD) von lediglich 18 fremdenfeindlichen Fällen im vergangenen Jahr in Berlin spreche, sei „lächerlich und unrealistisch“. Es gebe einen täglichen Terror, der von Beschimpfungen bis zu Angriffen reiche. „Das Ausmaß ist nicht mehr erträglich.“

Von der vor vier Wochen angekündigten Broschüre, in der zur Fußball-WM No-go-Areas für ausländische Gäste aufgelistet werden sollten, rückt der Afrikarat dagegen ab. „Eine karthographische Darstellung wird es nicht geben. Wenn man einzelne Gebiete als No-go-Areas aufzeigt, sagt man gleichzeitig, dass die anderen keine sind“, sagt Endrias. Er rät Afrikanern generell davon ab, in den Osten zu reisen. „Ein schöner Ausflug nach Brandenburg kommt nicht in Frage.“ In Berlin sollten Afrikaner die östlichen Außenbezirke meiden.

Statt in einer Broschüre will der Afrikarat in fünf Sprachen auf einer Internetseite informieren und Ratschläge geben, zum Beispiel nicht allein, sondern in Gruppen unterwegs zu sein, nicht einfach in jede Kneipe zu gehen und auf keinen Fall nachts in den Osten zu fahren.

Auch aus der Berliner Politik bekommt Uwe-Karsten Heye teilweise Unterstützung. Friedbert Pflüger, Spitzenkandidat der Berliner CDU, sagt, dass sich viele Bürger unabhängig von ihrer Herkunft nicht sicher fühlten. „In Zukunft muss es, wie in New York, null Toleranz gegenüber Kriminalität geben. Die pauschale Verunglimpfung vonseiten Herrn Heyes ist aber töricht und schädlich.“ Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) sagt, dass es so genannte No-go-Areas in Berlin nicht gebe. Heye habe auf Missstände hinweisen wollen. „Das heißt aber nicht, dass man hier Warnschilder aufstellen muss“. Berlins Innensenator Ehrhart Körting (SPD) hat die Reisewarnung Heyes als „kontraproduktiv“ und „nicht hilfreich“ kritisiert. Er wolle Rechtsradikalen „keine Räume überlassen“, weder in Berlin noch anderswo, sagt Körting.

Rainer-Michael Lehmann, migrationspolitischer Sprecher der FDP-Fraktion im Abgeordnetenhaus, findet zwar, dass Heye dramatisiert, wenn er empfiehlt, in einige Gebiete gar nicht mehr zu reisen. Es sei richtig, auf die Probleme hinzuweisen. „Die Empfehlungen sind aber der falsche Weg.“ So würden auch diejenigen verunglimpft, die sich in den Gebieten gegen Rechtsextremismus engagieren. „Es gibt sehr wenige Vorschläge, wie man etwas ändern will, gerade aus Brandenburg“, bemängelt Lehmann.

Özcan Mutlu von den Berliner Grünen befürwortet dagegen Heyes Vorstoß. „Es ist gut, dass endlich darüber diskutiert wird. Wir können uns nicht wegducken.“ Es sei schäbig, dass ausgerechnet Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm, der für den Schutz vor rassistisch motivierten Angriffen verantwortlich sei, Heye für seine Äußerung kritisiere. „Wenn wir damit werben, dass Freunde zu Gast bei uns sind, müssen wir auch gewährleisten, dass diese Freunde sicher sind.“ In einigen Gegenden müssten sie jedoch Gewalt befürchten. „Die Debatte kommt zum richtigen Zeitpunkt.“

Auch die Amadeu-Antonio-Stiftung, benannt nach dem ersten Todesopfer fremdenfeindlicher Gewalt in Brandenburg nach der Maueröffnung, hat Heyes Äußerungen begrüßt. Ihre Vorsitzende Anetta Kahane sagt, jedermann wisse, dass man einem dunkelhäutigen Afrikaner keinen Ausflug in bestimmte Ecken Brandenburgs empfehlen könne. „Der Skandal ist, dass man eine Binsenwahrheit nicht aussprechen darf“, so Kahane.

Dorothee Schmidt

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