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Noch sind um den Hauptbahnhof jede Menge freie Flächen zu sehen, doch wird das nicht lange so bleiben. Hier, auf der südlichen Bahnhofsseite, entsteht ein riesiges neues Stadtviertel.

© Kai-Uwe Heinrich

Große Leere mitten in Berlin: Hinterm Hauptbahnhof geht’s weiter

Das aktuelle Epizentrum des Berliner Baugeschehens liegt inmitten einer großen Leere. Ein neuer Stadtteil schiebt sich ins Licht und füllt die Brache zwischen Mittes Kiezkultur und dem dösenden Moabit. Ein Streifzug.

Chinapfanne für 2,50 Euro, Döner-Menü mit Softdrink für ’nen Fünfer – die Preise im Berliner Bahnhofsviertel haben sich der Klientel angepasst. Die Bahnhofsmission ist nicht weit, Flüchtlinge ziehen bald in Traglufthallen ein – Moabit war schon zu Mauerzeiten der Stadtteil für all jene, die sich Kreuzberg nicht leisten konnten. Doch Grenzen verschieben sich, nach 25 Jahren Einheit nun auch am Hauptbahnhof. Das Grollen der Zwölftonner, das Ballett der Kräne sowie die Bretterzäune vor Baugruben und Rohbauten kündigen diese neue Zeit an, die Budenzauber und Sozialbauten verdrängen wird.

Am Hauptbahnhof liegt das Epizentrum des Berliner Baugeschehens. Ein Stück Stadt erhebt sich hier und füllt die Leere zwischen Mittes praller Kiezkultur und Westberlins dösendem Moabit. „Übernachten ab 69 Euro“ prangt vom grauen Turm an der Invalidenstraße. Das „Motel One“, drei Jahre jung, ist das Tor zwischen alter und neuer Stadt. Deren Vorbote erhebt sich wie ein Ausrufezeichen aus dem Brachland nördlich des Bahnhofs, das sanft geschwungene Hochhaus, die neue Europa-Zentrale des Ölmultis Total. In der Ödnis rundherum wachsen die nächsten Neubauten.

Das typische schäbige Bahnhofsviertel wird es in Berlin nicht geben

Die hässliche Rückseite von Metropolen-Bahnhöfen, mit Automatenkasinos, Stripclubs und Bierbars, wird es in Berlin nicht geben: Im Süden liegt das Kanzleramt, im Norden entsteht das neue Geschäftsviertel. Viel Bauland für Bürohäuser ist schon verkauft: Der Energiehändler „50 Hertz“ zieht in den Block ein, der schräg gegenüber an den Hamburger Bahnhof anschließt. Die Berater von Pricewaterhouse Coopers bauen am Humboldthafen. Das alte Becken neben dem Hauptbahnhof, wo rostiger Stahl die schmutzgraue Spree einfasst, wird bald verschwinden. Ein paar Schritte weiter sind die Kaimauern schon saniert. Bald sitzen hier Manager am Ufer, auf sanft abfallenden Stufen aus poliertem Stein.

Auch das letzte Grundstück, reserviert für Klaus Wowereits Kunsthalle, steht sicher bald zum Verkauf, jetzt, wo bald ein Neuer regiert. Ein paar Schritte weiter die Spree entlang steht das Forschungsministerium, vor zwei Wochen eröffnet: ein Hightech-Neubau mit Solarzellen an Dach und Fassade, Brennstoffzelle im Keller und sparsamem LED-Licht in allen Amtsstuben. Die Baulücke nebenan wird nächstes Jahr geschlossen: Hier entsteht das „Haus der Zukunft“, offen für alle. Wissen wird zur Schau gestellt, durch Ausstellungen und Veranstaltungen. Doch auch Bistro und Restaurant wird es hier geben, sagt Staatssekretärin Cornelia Quennet-Thielen. So schlägt das Haus der Zukunft die Brücke zur Museumsmeile, wo Kunst erfahrbar wird, im Hamburger Bahnhof und an den sanierten Eisenbahnhallen nördlich davon.

Wer aus dem Fenster des neuen Ministeriums blickt, sieht, wie nah alles ist, Charité auf der einen Seite, Regierungsviertel auf der anderen. Besser als von hier aus lässt sich Berlin nicht erobern, und deshalb reihen sich Hotel-Neubauten aneinander: Nördlich vom Bahnhof stehen die günstigen Häuser von Ibis und Amano fast fertig schon da. Auch südlich, in Sichtweite des Kanzleramtes, gibt es für jeden Geldbeutel etwas: Das billige Meininger versteckt sich endlich hinter dem noblen Steigenberger. Das Intercity-Hotel steht in zweiter Reihe. Auch ein neues Bürohaus entsteht dort, benannt nach Kennedy.

Noch maulen die Reisenden, der Hauptbahnhof sei schlecht zu erreichen. Tramschienen rosten ungenutzt vor sich hin. Aber auf der Mittelinsel der Invalidenstraße betonieren Arbeiter das Dach einer neuen Straßenbahn-Haltestelle. Schon im Sommer 2015 fahren hier Züge vom Nordbahnhof ein. Außerdem gibt es eine Haltestelle für die U-55 am Bahnhof. Aber die fährt nur wenige Stationen bis zum Brandenburger Tor. Ohne Umsteigen bis zum Alex, das geht erst Ende 2019. Wenn aber die „Kanzler-U-Bahn“ erstmal rollt, geht’s ruckzuck vom Bahnhof in die City.

Plötzlich endet die Stadt - noch

Praktisch auch für die Bewohner des neuen Bahnhofsviertels, die in zwei Jahren die ersten 520 Wohnungen beziehen können. Die Firmen CA-Immo und Hamburg Team bauen. Noch ist davon wenig zu erkennen nördlich der Kunsthalle, wo die Bahnhofscity beginnt, die sich Richtung Westhafen ausdehnen wird. Einen S-Bahn-Anschluss bekommt die Siedlung auch, die Baustelle ist eingerichtet. Ab 2018 fährt die Linie S21 bis an die Ringbahn heran. Die Gleise werden parallel zur Heidestraße verlaufen.

Noch endet die Stadt hier plötzlich. Ein Gewerbehof und einzelne entmietete Altbauten verlieren sich auf der verkarsteten Brache. Weiter oben stehen die Rollwagen und das Zelt vom Circus Krone. Platz ist hier genug und das braucht es auch. Die provisorische Festwiese erreicht man am besten mit dem Auto über die Heidestraße. Die wird gerade neu geteert und zum „Boulevard“ verwandelt: 38 Meter breit, drei Meter grüne Mittelstreifen, Sieben- Meter-Wege für Radler und Fußgänger. Auf der einzigen befahrbaren Spur stauen sich die Autos. Wer dort ankommt und von der Perleberger Brücke zurückblickt, der erkennt, warum dieses Gebiet die Entwickler beflügelt: so viel Freiraum im Zentrum – das gibt es nur in Berlin.

Es ist das, was von Teilung und Mauerjahren übrig bleibt. Denn wie dicht das Berlin der Gründerzeit hier mal war, zeigt sich auf dem Weg zurück zum Bahnhof, die Lehrter Straße hinunter. Mietskasernen mit Läden am Trottoir: Schnellkauf, Sultan Ahmed Camii-Moschee, Cafés, Bierbars. Weiter unten trennt eine Mauer aus rotem Backstein Moabit von der Zukunft, nur versprengte Altbauten stehen herum. Dabei verlaufen die Gleise für S- und Regional-Bahnen in stattlichem Abstand. Brache auch hier, Platz für Neues.

Zumal es sich hier leben lässt. Kletterhalle, Minigolf, Tennisplätze, Rodelbahn, Ruderanlage gibt es und das Stadtbad Tiergarten. Rund um Poststadion und Fritz-Schloss-Park haben Vereine und Firmen ihren Sitz, Läufer drehen ihre Runden. Danach geht’s in die Sauna oder ins Fitnessstudio, die „Vabali“-Therme ist bis Mitternacht offen. Wie janz weit draußen fühlt sich das an. Trotzdem wirken die paar Reihen Townhäuser am Südrand des Grünzugs fehl am Platze. Die Planer haben sie von der Stadt separiert durch hohe graue Mauern. Dahinter ist das Rattern eines Rasenmähers zu hören. Doch die 50 Quadratmeter-Grundflächen-Idylle bekommt bald neue Gäste: Flüchtlinge ziehen her, in zwei „Traglufthallen“ in die Nähe des Poststadions.

Ein letzter Schlenker die S-Bahn-Bögen entlang gen Westen: Das Bundesinnenministerium steht zum Einzug bereit, Anfang des Jahres, wenn es nach Plan geht. Lange Reihen schmaler Fenster in tiefen Ausschnitten einer hellen Fassade: Plastischer sind die Bauten der Berliner Moderne in der Ära von Senatsbaudirektorin Regula Lüscher geworden. Aber schön?

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