zum Hauptinhalt

Berlin: Großer Andrang bei Ursuppe sauer scharf in der Urania - Physik trifft Philosophie

Am Anfang war unsere Welt ein Punkt, und die ganze Weltfamilie lebte auf diesem Punkt, erzählt der italienische Autor Italo Calvino. Man musste keinen Staub wischen, denn es gab keinen Platz für Staub.

Am Anfang war unsere Welt ein Punkt, und die ganze Weltfamilie lebte auf diesem Punkt, erzählt der italienische Autor Italo Calvino. Man musste keinen Staub wischen, denn es gab keinen Platz für Staub. Mama hatte es trotzdem schwer. Eines Tages wollte sie Nudeln kochen und eine Tomatensauce. Da brauchte sie Platz in der Küche. Das war der Moment, als es zum Urknall kam.

Am Mittwochabend saßen in der Urania Physiker und Philosophen an Mamas Tisch. Ein Politiker war auch eingeladen: Wolf-Michael Catenhusen, Staatssekretär im Bundesforschungsministerium. Hoher Besuch. Deshalb gab es nicht nur Nudeln, sondern vorweg wahlweise Urbrühe (sauer scharf), Quark-Gluon-Eintopf (Soljanka) oder Teilchensuppe (Erbsen). Und dann plauderte man darüber, wie das wohl damals, beim Urknall, so gewesen sein mochte.

Für das Publikum in dem bis auf den letzten Platz gefüllten Urania-Saal war es ein ebenso lehrreicher wie unterhaltsamer Abend. Der Versuch, im "Jahr der Physik" Experten verschiedener Disziplinen zu einer auch für Laien verständlichen Diskussion zusammenzubringen, gelang. Die Zuhörer fühlten zuerst mit dem emeritierten Teilchenphysiker Paul Soeding mit, der zu Beginn von seinem Hochspannungsunfall im Physiklabor erzählte. "Ich sah plötzlich nur noch grünes und blaues Licht." Und dann sei er froh gewesen, als der ganze Spuk vorbei war. So ähnlich musste es gewesen sein, damals beim Urknall vor 15 Milliarden Jahren.

Der gekrümmte Raum

Hans-Walter Rix, der mit elf Jahren bereits nach den fernsten Galaxien im All Ausschau hielt und heute, mit gerade erst 36 Jahren, Direktor am Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg ist, packte viele Bilder aus: Hier, der Nordpol! Rix erzählte, wie einst zwei Leute vom Nordpol aus losmarschierten, beide in Richtung Süden. Hier, ein neues Bild, einige Jahre später! Am Südpol begegneten sich die beiden wieder - der Beweis dafür, dass die Erde gekrümmt ist. Genauso könne man zwei Raumschiffe von der Erde ins All losschicken, die sich irgendwann wieder begegneten. Denn auch das Universum sei gekrümmt.

Rix hatte noch mehr Anschauungsmaterial dabei. Er erzählte von Galaxien, die in dem gekrümmten Raum allesamt auseinander fliegen. Und je weiter sie bereits voneinander entfernt sind, desto schneller wächst ihr Abstand. Diese Galaxienflucht könne man zurückverfolgen, sagte Rix. Irgendwann waren alle Galaxien, war alle Materie des Alls einmal in einem Punkt vereint.

Jochen Kirchhoff hielt es schon lange nicht mehr an seinem Platz. "Der Urknall kann niemals verifiziert werden", sagte der Philosophiedozent der Humboldt-Universität. Wie könne ein solcher Punkt jemals plausibel gemacht werden? Kirchhoff monierte den ganzen Abend über immer wieder, auf welch wackligen Beinen die Theorie stehe. "Die jetzige Kosmologie wird sich als großer Witz erweisen", prophezeite er und hält es lieber mit dem Philosophen Giordano Bruno, der ein unendlich ausgedehntes Universum ohne Anfang und ohne Ende annahm.

Die Physiker in der Runde hatten das Gewitter schon herbeikommen sehen. Sie vermieden es tunlichst, von Tatsachen zu sprechen, wie sie es unter ihresgleichen gewöhnt sind. "Es gibt keine physikalische Theorie, die man verifizieren kann", sagte Peter Braun-Munzinger, Direktor der Gesellschaft für Schwerionen-Forschung in Darmstadt. "Wir können Theorien nur widerlegen." Auch der Urknall sei eine Hypothese. Aber es sei mit Experimenten noch nicht geglückt, diese zu Fall zu bringen.

Von nichts kommt nichts

Hans Poser, Philosophieprofessor der Technischen Universität Berlin, berichtete von alten Mythen um den Ursprung und Urgrund. "An der Grenze des Durchschaubaren zu operieren, war charakteristisch für alle Zeiten." Aber zum Nulltarif gebe es nichts. Auch für die heutige Grundlagenforschung müsse man gelegentlich in die Tasche greifen, sagte er und sprach damit das heikelste Thema des Abends an: das Geld.

Wolf-Michael Catenhusen, von Hause aus Historiker, zeigte sich erfreut darüber, dass die Physiker versuchen, neue Anhaltspunkte, neue Quellen zu finden, um ihre Urknall-Hypothese zu untermauern. Aber dann warf er beinahe beiläufig ein, dass es im Bundeshaushalt keinen eigenen Posten für den Urknall gebe. Die Motivation für die Forschung mit modernen Teilchenbeschleunigern hänge nicht unbedingt mit dem Urknall zusammen.

Dabei hatten die Physiker in den letzten Jahren viel Wirbel um den Urknall gemacht. In Presseverlautbarungen waren immer wieder Worte zu lesen gewesen wie "Physiker machen den Urknall im Labor!", wenn es darum ging zu erklären, wovon der Laie nichts verstand. Sollte die ganze Urknall-Kampagne umsonst gewesen sein?

Ranga Yogeshwar schiffte die Wissenschaftlerschar auch um diese Klippe. Der pfiffige WDR-Moderator erzählte die Geschichte von der Mama, die Nudeln kochen wollte und dazu Platz in der Küche brauchte. Physiker, Politiker und Politiker waren ebenso erheitert wie die Zuhörer. Man löste die Runde auf, diskutierte noch lange auf den Fluren und verabredete sich zum Nachtessen in einem italienischen Restaurant.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false