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Berlin: Großer Auftritt und bravouröser Abgang

Die 57. Filmfestspiele prägten das Bild einer aufregenden Stadt Abseits des roten Teppichs erlebten die Stars den Mythos Berlin

In den zehn rauschhaften Berlinale-Tagen und Nächten ist der Frühling über Berlin hereingebrochen. Hat schöne Erinnerungen an die Stadt in alle Welt getragen, die sich dort nun ausbreiten. In der allerletzten Nacht, bevor die Kinos wieder von normalen Kinobesuchern erobert wurden, sah es im „Borchardt“ noch einmal aus wie in einer Filmkulisse.

Es ist halb zwei Uhr morgens, und gerade ist der Regierende Bürgermeister eingetroffen. Zuallererst verbeugt er sich vor der besten Schauspielerin Nina Hoss, die mit ihrem Silbernen Bären, hellblonder Löwenmähne und einer kleinen Digitalkamera ganz hinten in der Ecke sitzt. Dann lässt er sich bei Helmut Dietl und Maybrit Illner nieder, die schon eine Weile die Köpfe zusammengesteckt haben. Die Moderatorin freut sich über das Comeback des politischen Films. Wowereit hat an diesem Tag schon „Troja“ gesehen, die „Troja-Party“ besucht, außerdem „Angel“, den 137-minütigen Abschlussfilm, „bis zum Schluss!“ gesehen („War ’ne Schmonzette“). Und nun nimmt er den Gute-Nacht-Drink beim sogenannten Bären-Dinner der Preisträger. Angel-Darstellerin Romola Garai sitzt am Fenster und erholt sich von einer Tour über Sponsoren-Empfänge.

Unten im Keller hockt Dieter Kosslick auf dem schwarzen Ledersofa, lehnt sich an das raffinierte goldschillernd semitransparente Kleid von Martina Gedeck und erzählt vor sehr kleinem Publikum noch einmal die lustige Director’s-Cut-Version von seiner Zeit mit Lauren Bacall. Wie er, mannhaft den drohenden Rechnungshof ausblendend, für die Diva auf Kaviarjagd ging, neugierig beäugt von deren Hündchen namens Sophie ... Man merkt seiner Erzählung an, dass die Stars der alten Zeiten sehr fordernd sein können, aber dafür umso faszinierender. Oben am Fenster streichelt derweil Kultur-Anwalt Peter Raue den Goldenen Bären eines neuen Stars. Yu Nan, Hauptdarstellerin des besten Films „Tuya’s Marriage“, dolmetscht für den Regisseur Wang Quan’an. Auch die Chinesen haben sich in Berlin umgesehen, waren fasziniert vom Pergamon-Museum und haben eine Schwäche für deutsche Würstchen entwickelt. Der koreanische Preisträger Park Chan-wook erzählt, dass seiner Frau das Jüdische Museum gefallen habe und ihm selbst die Gemäldegalerie: „Diese Rembrandts!“ Jury-Mitglied Willem Dafoe hat außer Filmen kaum was gesehen in diesen Tagen, nun arbeitet er gekonnt den Raum durch. Er bleibt noch, als Mario Adorf sich seinen schneeweißen Schal umschlingt und aufbricht.

Die Nacht schreitet voran, und immer noch flutet Gelächter und gelegentlich spontan aufbrausender Applaus durch den Raum. Die Gewinner haben roh marinierten Thunfisch mit Krustentiertatar gegessen und wilden Loup de Mer und reichlich Pommery dazu getrunken.

Bei der amerikanisch knackigen Bären-Verleihung hat Dieter Kosslick zuvor seinen 1500 Mitarbeitern gedankt. Dazu gehören neben den Star-Führern auch diejenigen, die 4000 Journalisten aus fast allen Ländern der Welt betreut haben. Auch diese Festivalteilnehmer nehmen Erinnerungen mit, vervielfältigen wie die internationalen Stars das Bild vom aufregenden Berlin.

Während junge deutsche Filmsterne wie Nina Hoss und Martina Gedeck auf der Bühne des Berlinale-Palastes strahlen, erscheinen im Hintergrund immer neue Schwarz-Weiß-Aufnahmen von jenem „alten Star“, dem Dieter Kosslick auch dankt, der Stadt Berlin, die so eine gute Kulisse gegeben hat für das Festival, das in diesem Jahr allein rund 60 internationale Stars anzog. Es waren keine geschönten Bilder, die da projiziert wurden, viele Plattenbauten, der Bahnhof Zoo, Mauerreste. Gerade das vertiefte den Eindruck, dass die Stadt wieder da angelangt ist, wo sie in den oft zitierten goldenen Zwanzigern schon mal war, nur auf einem besseren Niveau, selbst dort, wo die Schatten sind, bis zu denen der Glanz eines Filmfestivals nie hervordringt. Auch in den Danksagungen blieben Schatten nicht verborgen. Der beste Schauspieler Julio Chavez erinnerte an seinen Vater, der 1921 in Berlin geboren wurde und 1937 das Land verlassen musste.

Berlinale, das sind eigentlich verschiedene Ereignisse, die zeitgleich laufen. Zum einen sind es die 373 Filme, von denen Extremseher fünf pro Tag schaffen, vernünftige Cineasten wie Donata Wenders vielleicht zwei. Als Nachzüglerin wollte gestern noch Faye Dunaway kommen, um sich eine Reihe von Filmen anzuschauen, leider zu spät für die Hommage an Arthur Penn, der zu ihrem Durchbruch beigetragen hat. Zum anderen bedeutet Berlinale: goldene Nächte, in denen sich die Stars austoben. Die tragen nicht unerheblich bei zu dem Mythos der wilden, fröhlichen, glamourös grauen Stadt, in der Nähe von Sibirien. Die über Nacht vom Frühling entdeckt wurde.

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