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Großprojekte in Berlin: Vorsicht, Bürgerwut

Flugrouten-Protest, Streit um A 100 und Tempelhofer Feld – die Politik muss feststellen, dass Pläne auch in Berlin nicht von oben herab gemacht werden können.

Der Ort verlangt nach großen Worten: Himmel, Weite, Bewegungsfreiheit, so viel man will. Das einzigartige Berlin ist mit und auf dem ehemaligen Tempelhofer Flughafen wirklich einzigartig großzügig mit Stadtraum und Himmelsweite. „Tempelhofer Freiheit“ nennen sie die Anlage offiziell in der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung – das passt. Wer unterwegs war auf dem weiten Feld, mit dem Rad oder dem Roller oder den Inlinern oder dem Modellflugzeug, der hat ein neues Berlin-Gefühl gewonnen: Das ein Ort einfach toll sein kann, ganz ohne Event und Fremdbespaßung.

Ob sich die Leute das noch mal wegnehmen lassen? Schwer zu glauben – nach allen Erfahrungen der Politik mit Großprojekten, in Berlin wie anderswo. Der Versuch, das Tempelhofer Feld in großem Stil, mit großer Geste, mit großen Versprechungen nachzunutzen und womöglich zuzubauen, könnte Protest explodieren lassen wie jetzt wegen der Flugrouten. Großprojekte rufen (nicht erst neuerdings, aber inzwischen regelmäßig) Widerstand und Protest hervor. So war es bei „Mediaspree“. So ist es bei der A100- Verlängerung. So ist es, weil sich die Leute wegen der Flugroutenplanung für den neuen Großflughafen BBI belogen fühlen. So würde es kommen, wenn ein Senat den in diesem Sommer vom Volk eroberten Volkspark Tempelhof massiv beplanen wollte.

Die Politik kann nicht mehr planen, die Leute danach „Einwendungen“ machen lassen und dann einfach losbauen. Die Bürger haben stärkere Ansprüche auf den öffentlichen Raum. Und sie sind misstrauischer denn je gegenüber der Politik, wenn sie diesen Raum beplant. Nach einer neuen Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach halten nur 32 Prozent der Bürger die repräsentative Demokratie für die überlegene Variante – 51 Prozent sind für eine direkte Demokratie. Und 73 Prozent der Befragten glauben, dass mehr Volksabstimmungen die Politik dazu bringen würde, sich mehr an den Interessen der Bürger zu orientieren: Wenn das kein Misstrauens-Votum ist.

Die Politik weiß nicht, wie sie damit umgehen soll. Deswegen sagen alle von Schwarz bis Grün: „Mehr Kommunikation!“ Im Streit mit den Media-Spree-Gegnern hat der Senat, der das Großprojekt ohne Weiteres hätte an sich ziehen können, den ganzen Ärger dem Bezirk überlassen. Die Projektgegner, die die Aufwertung und Verteuerung der Innenstadt-Gegend verhindern wollte, erstritten einen Bürgerentscheid. Sie wollten damit wenigstens durchsetzen, dass das Spree-Ufer zugänglich blieb. Schulz muss nun versuchen, solche Forderungen aus dem erfolgreichen Bürgerbegehren durchzusetzen. Dabei hat er die Stadtentwicklungssenatorin im Genick. Die drohe ihm an, so Schulz, einzelne Projekte an sich zu ziehen.

Längst gilt Media-Spree als Beispiel, wie man es nicht machen soll: Die Kreuzberger und Friedrichshainer fühlen sich übergangen – und jenseits der Bezirksgrenzen kritisieren Politiker den Bezirk dafür, dass er zu wenig für neue Arbeitsplätze in Friedrichshain-Kreuzberg tue. Wer in Berlin etwas Großes bauen will, kann „Mediaspree“ als Beispiel betrachten, dass so ein Großprojekt wie Glücksspiel ist. Für Schulz ist das alles ein Beispiel für mangelhafte Bürgerbeteiligung.

Ein Jahr vor der Wahl haben Klaus Wowereit und seine SPD aus solchen Erfahrungen einen wichtigen Schluss gezogen: den, Großvorhaben liegen zu lassen. So soll in Sachen A100-Verlängerung, die starke Gründe für und gegen sich hat, bis zur Wahl bloß nichts passieren. Damit wird ein Fünftel der Legislaturperiode aus Sorge vor Ärger zur entscheidungsfreien Zeit erklärt.

Jan Stöß, Wirtschaftsstadtrat in Friedrichshain-Kreuzberg und SPD- Kreischef im Bezirk, kennt den Streit, der dorthin führte, ganz genau. Stöß’ Kreisverband hat 2009 einen SPD-Landesparteitag mehrheitlich gegen die A100 in Stellung gebracht, auch wenn deren Verlängerung im rot-roten Koalitionsvertrag beschlossen war. Dabei hatten die Sozialdemokraten aus „xhain“, wie sich sich nennen, vor allem die Verkehrsprobleme im Blick, die ihnen mit der herannahenden A100 drohen. Vor ein paar Monaten hat Wowereit auf einem weiteren Parteitag zwar wieder eine knappe Mehrheit für die Autobahn bekommen. Doch Verkehrspolitik macht er damit nicht.

Und Stöß? Er kommentiert die Entwicklung lächelnd mit dem Satz, Politik bestehe aus Kompromissen. Der gelernte Jurist hat sich in seiner Promotion mit dem Thema „Großprojekte der Stadtentwicklung in der Krise“ befasst – und er ist durchaus in der Lage, die A100 nicht nur aus der Bezirksperspektive zu sehen.

Wenn man eine solche Autobahn wolle, sagt er, dann müsse man sie „offensiv politisch vertreten“. Man müsse sagen: Wir wollen damit bis nach Prenzlauer Berg. Dann hat man wenigstens offenen, ehrlichen Streit. Der Senat aber, so kann man Stöß durchaus verstehen, tut das Gegenteil. Er leitet die Bedeutung eines weiteren Bauabschnitts aus dem zuletzt gebauten ab: Weil man angefangen hat, muss man weitermachen.

Der Flugrouten-Streit mit seinen zehntausenden Protest-Aktivisten wird Wowereit den Ärger ahnen lassen, den er bekäme, würde die A100 weiter gebaut. Bürgermeister Schulz, der Protesterfahrene, sieht darin ein „Beispiel, wie aus einem Problem ein Mega-Problem werden kann, weil die Leute sich verscheißert fühlen“. Es geht an die Substanz des Entscheidungsprozesses: Diejenigen, die vom Fluglärm betroffen sein werden, hatten nicht mal die Chance, sich an der Planung zu beteiligen. Das wird nicht mehr funktionieren. Wir sind, meint Franz Schulz, im Übergang zu einer Gesellschaft der engagierten Bürger. Deren politische Rechte aber entsprächen der Bundesrepublik der fünfziger und sechziger Jahre, mit Bürgern, die den Politikern vertrauten. Heute müsse man anders planen und anders entscheiden: Bevor große Projekte angeschoben und Bebauungspläne aufgestellt würden, müssten Bürger mitentscheiden können. Schulz denkt an „Leitpunkte“, über die man abstimmen lassen könne: Wie hoch, wie groß soll ein Bauvorhaben werden, wie soll es genutzt werden? Je nach der Größe des Projekts sollten nur Anwohner oder auch die Stadtbevölkerung entscheiden können. Die Leute sollten endlich sagen können, „was sie wollen“.

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