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Gefragt und gefordert. Renate Künast hat als grüne Spitzenkandidatin bei der Wahl in Berlin ihre Ziele verfehlt. Sie wollte das Amt des Regierenden Bürgermeisters und ihre Partei zur stärksten Kraft machen. Jetzt ist der Landesverband zerstritten – und Künast auch als Fraktionschefin im Bundestag in der Defensive.

© dpa

Grüne Ex-Spitzenkandidatin: Renate Künast: "Mein Wahlziel war kess"

Renate Künast sprach mit dem Tagesspiegel über ihre Spitzenkandidatur für die Berliner Grünen, ihre eigene Verantwortung, den Umgangston in der zerstrittenen Abgeordnetenhaus-Fraktion und künftige Machtoptionen.

Von Sabine Beikler

Frau Künast, braucht die Grünen-Fraktion in Berlin statt eines externen Vermittlers nicht eher einen Psychotherapeuten?

Die Frage haben Sie für umsonst. Aber ernsthaft: Es gibt dort Konflikte. Die Zeit, um sie zu lösen, müssen wir ihnen lassen. Ein Vermittler kann da helfen.

Wen empfehlen Sie?

Ich werde mich hüten, jemanden vorzuschlagen. Aber es darf keine Hängepartie werden, das sehen alle Beteiligten und damit ist eine wesentliche Voraussetzung für eine Lösung vorhanden. Die Wähler, die die Grünen in Berlin mit 17,6 Prozent gewählt haben, erwarten zu Recht, dass man mit ihnen respektvoll umgeht und ernsthafte Oppositionspolitik gegen Rot- Schwarz in Berlin macht. Genau darum geht es.

Warum entscheidet man sich nicht für einen grünen Vermittler wie Wolfgang Wieland oder Reinhard Bütikofer?

Es darf kein Mitarbeiter und kein Mitglied der Fraktion sein. Ich schließe nicht aus, dass es ein anderer erfahrener Grüner ist. Aber das müssen die Betroffenen entscheiden.

Wofür wurden die Grünen gewählt, wenn sie nicht einmal in der Lage sind, sich zu verständigen?

Die Berliner Grünen müssen zeigen, dass sie sich anstrengen. Die Wähler müssen erkennen, dass die Grünen vernünftig Politik machen können. Es gibt ein Wahlprogramm, auf dessen Grundlage diese Fraktion gewählt worden ist. Für unsere Ideen für diese Stadt, SPD und CDU werden uns schon jetzt erkennbar viele Ansatzpunkte bieten. Daraus entsteht eine Verpflichtung, den Konflikt zu lösen.

Müssen sich Grünen-Wähler nicht verladen fühlen?

Schön wäre, wenn es den aktuellen Konflikt nicht gäbe, keine Frage. Ich habe aber den Eindruck, dass die Grünen-Wähler uns vertrauen. Aber wir müssen aufpassen, dass das Vertrauen nicht in Enttäuschung umschlägt.

Verstehen Sie den Ärger der Parteilinken in der Fraktion, die sich von den Realos ausgegrenzt fühlen?

Ich kann die Schärfe des Tonfalls nicht nachvollziehen, da ist Abrüsten angesagt. Ausgrenzung ist ein weit reichender Begriff, man muss im Detail klären, um was es jeweils geht. Jede Fraktion muss Personalentscheidungen treffen, und zwar respektvoll. Ramona Pop und Volker Ratzmann sind demokratisch gewählt. Ich werde keine Ratschläge von außen geben. Ich versuche mich intern einzubringen.

Klaus Wowereit reibt sich jetzt die Hände, wenn er sich den grünen Kinderladen anschaut. Angesichts einer knappen Mehrheit wären die Grünen in einer rot-grünen Koalition nicht regierungsfähig gewesen.

Ich weiß, dass Wowereit wegen der knappen Mehrheit Sorge hatte, dass seine eigenen Leute gegen ihn stimmen. Er sagte ja auch mehrfach, er wolle nicht so enden wie Heide Simonis. Ob er sich jetzt die Hände reibt, kann ich nicht sagen.

Sind die Grünen in Berlin regierungsfähig?

Wenn wir regiert hätten, hätte es die Konflikte so nicht gegeben, weil sich die Situation durch Personalentscheidungen entschärft hätte. Dass es nach einem so langen Wahlkampf zu Klärungsprozessen kommt, ist auch nicht verwunderlich. Die Schärfe ist das Problem.

Was ist Ihr eigener Anteil daran, dass es zu dieser Krise gekommen ist?

Es gibt Frust, weil viele ein höheres Wahlergebnis erhofft hatten. In Berlin gab es einen Wahlkampf, den die Grünen vorher noch nicht gemacht haben, nämlich einen Personenwahlkampf um Platz eins. Ich habe auch Fehler gemacht. Die Kampagne, die Inhalte der Plakate hätte man breiter diskutieren müssen. Wir haben es nicht geschafft, Themen nach vorne zu bringen. Wir brauchen dazu eine Analyse, die gerade beginnt. Es muss geklärt werden, inwieweit der Landesverband in den letzten Jahren ausreichend kampagnen- oder profilierungsfähig gewesen ist, um so einen Weg gehen zu können, und ob wir genug im Gepäck hatten. In Wahlkämpfen kann man nicht alles anders machen. Wir hätten mehr mit Leuten außerhalb des Wahlkampfteams und der festen Strukturen kommunizieren müssen. Das war keine Rechts-Links-Auseinandersetzung innerhalb der Grünen.

Inhaltlich weichgespültes Wahlprogramm? Keine klare Position zur A 100? Lesen Sie weiter auf Seite 2

Sie haben also alle vor den Kopf gestoßen?

Das ist putzig. Wir hatten Gremien, die sich regelmäßig getroffen haben. Aber natürlich frage ich mich heute, ob die Zusammenarbeit dieser Ebenen nicht besser funktionieren hätte können. Und noch eines: Es ist nicht trivial, mitten im Wahlkampf den Wahlkampfmanager austauschen zu müssen. Das ist für jeden Wahlkampf ein schwerer Rückschlag.

Ex-Parteichef Bütikofer wirft Ihnen eine „Mischung aus Selbstüberschätzung und Fahrlässigkeit“ vor. Hat er recht?

Ich teile seine Ansicht nicht. Es ist flott formuliert, hat aber mit der Dynamik des Wahlkampfes nicht viel zu tun. Er wird als Mitglied des Berliner Landesverbands auch an der Aufarbeitung teilnehmen. Wir brauchen eine Analyse, die den Respekt vor den Leistungen aller miteinbezieht. Das gilt auch für Volker Ratzmann und Ramona Pop, die sich richtig reingehängt haben. Wir hatten mit 17,6 Prozent das bisher beste Ergebnis in Berlin.

Erscheint Ihr Anspruch auf den Posten der Regierenden Bürgermeisterin nicht rückblickend absurd, da die Grünen nur drittstärkste Partei geworden sind?

Heute sagen manche, es sei vermessen gewesen, es zu versuchen. Aber damals fanden es alle richtig, auch Zeitungskommentatoren. Wenn Sie bei solchen Umfragewerten stehen, müssen sie sich dieser Frage stellen.

Finden Sie es heute auch noch richtig?

Es war kess. Man kann heute zu dem Schluss kommen, wir hätten ein besseres Ergebnis bekommen, wenn wir den Wahlkampf weniger stark auf meine Person zugeschnitten hätten. Aber damals hat der Landesverband genau das gewollt und es ist ja auch eine Art Gesetzmäßigkeit in der politischen Auseinandersetzung um ein solches Amt.

Sie meinen, es sei unfair, bei Ihnen alles abzuladen und nicht die Verantwortung der Berliner Grünen insgesamt zu sehen?

Wenn man Spitzenkandidatin ist, geht man ein großes Wagnis ein. Das wusste ich. Dazu gehört, dass man stärker als andere für das Ergebnis verantwortlich gemacht wird. Das ist okay. Aber ich habe die Entscheidungen nicht alleine getroffen. Im Bund haben die Grünen Erfahrung mit dem Kurs der Eigenständigkeit. In Berlin müssen wir an diesem Punkt noch arbeiten.

War Ihr Wahlprogramm zu schwammig, weshalb es sehr spät die Ansage zum Bau der Stadtautobahn A 100 geben musste?

Wir waren inhaltlich nicht weichgespült. Die Frage ist eher, mit was wir durchdringen konnten. Wir haben unsere Ablehnung der A 100 von Anfang an thematisiert. Und das haben wir durchgehalten. Glaubwürdigkeit ist unsere Stärke.

Das Offenhalten der schwarz-grünen Koalitionsoption hat der linke Parteiflügel kaum ertragen. Warum haben Sie die Option kurz vor der Wahl ausgeschlossen?

Dazu gibt es im Landesverband unterschiedliche Positionen. Die einen sagen, man hätte früher zumachen sollen, die anderen sind heute noch dafür, es offenzulassen. Rückblickend sage ich: Wir hätten das früher im Landesverband schärfer debattieren müssen.

Warum sahen die Grünen im Vergleich mit den aufstrebenden Piraten in der Endphase des Wahlkampfes so alt aus?

Manche kritisieren, die Piraten seien frischer und lustiger rübergekommen. Die Grünen sind aber nicht die Piraten. Wir werden die Piraten als eigenständige Kraft akzeptieren, uns trotzdem hart mit ihnen auseinandersetzen. Inhaltlich brauchten wir uns auch im Wahlkampf nicht zu verstecken. Wir haben eine neue politische Kultur versprochen, zu der auch Transparenz und eine frühere Beteiligung von Bürgern im Planungsprozess gehören. Unser Internet-Tool "Mitmach-Stadt" zeigte im Wahlkampf, in welche Richtung wir denken und handeln.

Bleiben Sie bei Ihrer Ansage, dass Schwarz-Grün generell keine Option für die Grünen mehr ist?

Ich kämpfe immer für die Eigenständigkeit der Grünen als eigene Wertefamilie. Meine Worte zu Schwarz-Grün habe ich unter dem Eindruck der Berliner Erfahrung und mit Blick auf die Bundestagswahl 2013 gewählt. Da sehe ich uns nicht in der Rolle, Frau Merkels Machterhaltung zu sichern. Auf welcher Grundlage sollte das geschehen? Die Regierung Merkel ist am Ende, ich kämpfe für ihre Ablösung und für andere Mehrheiten im Bundesrat. Die werden wir dringend brauchen.

Mindert der Berliner Wahlausgang Ihre Chancen, bei der Bundestagswahl 2013 Spitzenkandidatin der Grünen zu werden?

Sie sind Ihrer Zeit weit voraus. Erst machen wir eine gründliche Analyse der Berlin-Wahl, es folgen weitere Landtagswahlen und die Vorbereitung auf 2013, inhaltlich und strategisch. Zum Schluss kommt die Personalfrage.

Das Gespräch führten Sabine Beikler und Hans Monath.

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