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Am Frankfurter Tor endete eine Fahrrad-Demo zum Abschluss des Grünen Wahlkampfes.

© Monika Skolimowska/dpa

Grüne Hochburg Friedrichshain-Kreuzberg: Es grünt noch so grün

Zwischen Berghain und Graefekiez ist die Partei unangefochten. Aber auch sie kann längst nicht alle Probleme lösen.

Thomas Rahmfeld, obdachlos, Hüter eines Büdchens mit hartem Stoff und Soft-Drinks in Sichtweite von Berlins härtester Tür, hat gewählt und rückt sogar damit raus: „Die Grünen, Digger!“ AfD sei nicht sein Ding. Aber nichts gegen die Polizei in Berlin – „so was von safe“ – und das ist ein Standortfaktor für jemanden, der sich jeden Abend seinen Schlafplatz im Freien sucht.

Am Techno-Touri-Tempel Berghain jagte auch die dominierende politische Kraft in Friedrichshain-Kreuzberg den letzten Unentschlossenen nach: „Wir haben Kondome verteilt“, sagt Werner Graf – und für die Legalisierung von Cannabis haben sie geworben. Ein bisschen Wahlkampf-Abschlussfest war es auch: Sie haben einen Sekt geöffnet und angestoßen. Dabei sind Berliner am Berghain eher selten anzutreffen. Eher schon Brandenburger wie der Koch Micha Ernst, dem die Abweisung durch die Türsteher noch zusetzt und der „eh noch nicht einmal im Leben gewählt hat“.

Marianne Burkert Eulitz will ihren Wahlkreis wieder holen

Ein paar Blöcke weiter steuert die Grünen-Abgeordnete Marianne Burkert-Eulitz das Café „Proviant“ an – das und kein anderes. Denn das gibt es schon lange, es war einmal ein Feinkostladen, musste aber den Gastrobetrieb „wegen der gestiegenen Mieten“ ausbauen. Burkert-Eulitz muss ihren Wahlkreis an der Simon-Dach- Straße holen, wenn sie wieder ins Parlament einrücken will. Vor fünf Jahren war das noch ein Vabanquespiel, dieses Mal eine fast sichere Bank. An den Laternen hängt ihr Porträt, auf den Straßen grüßen junge Mütter.

Seit 1998 lebt die Anwältin für Familienrecht und Grünen-Expertin zum Thema im Kiez. Sie beschreibt ihren politischen Weg fast wie ein Naturgesetz, sie seit gleichsam „sozialisiert“ von der politischen grünen Fundi-Mehrheit. Und das gesellschaftspolitische „Labor“ beschreibt sie als Avantgarde für die Stadt und sogar für ganz Deutschland: Milieuschutz, Gentrifizierung, die Last mit Touris und zu wenig Schulplätzen – „das kam mit zeitlichem Abstand auf das ganze Land zu“.

"Das haben SPD und Grüne im Bezirk recht gut hingekriegt"

Ihr Wahllokal liegt in der Modersohn-Schule und auf dem Flur läuft sie Schulleiter Michael Eichel in die Arme. Mit 100 Anmeldungen von Kindern hatte der zu kämpfen. Mit zusätzlichen rechnet er, wegen der vielen Neubauten im Quartier, und zwar noch während des laufenden Schuljahres. Gut, dass der Plattenbau um Container erweitert wurde, pardon: um „Modularbauten“, wie er schnell hinterherschickt. Und Burkert-Eulitz, immer noch im Wahlkampfmodus, ergänzt: „Das haben SPD und Grüne im Bezirk recht gut hingekriegt.“

An der Simon-Dach-Straße flitzt lautlos ein Elektro-Roller vorbei. Ein Paar flaniert den in goldenes Septemberlicht getauchten Bürgersteig entlang, vertieft in ein Gespräch über den „Rechtsruck der Sozis“. An den Tischen der Cafés sind nur noch schattige Plätze zu haben. Ein friedlicher, entschleunigter Wahlsonntag – jedenfalls für die, die im Hipster-Kiez Fuß gefasst haben.

Im Graefekiez wird über Modernisierung diskutiert

Den Boden unter den Füßen fürchten dagegen die Bewohner der Schönleinstraße 4 zu verlieren, auf der anderen, der Kreuzberger Seite der Spree. Pirat Fabio Reinhardt hat das Mietshaus im Graefekiez als Treffpunkt für ein Gespräch vorgeschlagen. Die Mieter um Cristina Frencesconi rufen mit einer „Kundgebung“ zum „Widerstand“ gegen „Modernisierung, Habgier und Kiez-Säuberung“ auf. Noch so eine typische Geschichte aus dem Zentrum der Stadt: Ein „Kieferorthopäde“ habe das Mietshaus gekauft, dränge Späti-Betreiber Murat durch Mieterhöhungen raus, habe die Miete für eine frei gewordene Wohnung verdoppelt und wolle bei den Wohnungen im nur neun Meter breiten Hinterhof Balkone anbauen, um die Miete anzuheben. Den bröckelnden Putz und die Löcher in den runtergewohnten Hausfluren fasst er nicht an.

Mieter fühlen sich allein gelassen

„Und was machen die Grünen?“, will Pirat Reinhardt wissen. „Gar nichts“, sagen die Mieter. Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann habe an Baustadtrat Hans Panhoff verwiesen und der auf den Milieuschutz, der vor Ort wirke. Zwischen den Mühlen von Verwaltung und Milieuschützern fühlen sich die Mieter allein gelassen im Kleinkrieg mit dem renditehungrigen Hauseigentümer.

Fabio Reinhardt hört interessiert zu, hakt nach, überlegt. Er ist einer, der sich profiliert hat unter Berlins Piraten, die nach den Umfragen jedoch keine Chancen bei dieser Wahl haben. Weshalb viele längst von Bord gingen und bei den Linken oder der SPD anheuerten. Reinhardt will bleiben, wo er ist, und könnte wohl in wenigen Tagen im Bezirks- statt im Landesparlament sitzen. „Das würde ich schon machen“, sagt er, „aber die Lebensplanung hätte Priorität“. Politische Arbeit im Bezirk sei eben Ehrenamt und nicht „Vollmandat“.

Der Pirat Reinhardt saß fünf Jahre im Abgeordnetenhaus

Eine Beratungsfirma will er mit Partnern gründen, die Unternehmen für „Vielfalt und Flüchtlingsintegration öffnet“. Das war sein großes Thema in den vergangenen fünf Jahren politischer Arbeit im Abgeordnetenhaus. Und er hält sich zugute, zwei Jahre vor dem Zusammenbruch des Lageso vor den Mängeln der Verwaltung gewarnt zu haben. Die Kontrollen der Unterkünfte und Verträge, die Ausschreibungen, „das haben wir angestoßen“. Das politische Engagement für die Flüchtlinge war eben sein Thema.

Murat reicht Couscous mit Knoblauchquark im Hinterhof. Von draußen dröhnt Rio Reiser rein, zwei Polizisten beobachten das Treiben der kleinen Menschentraube. Der Traum ist aus, in dieser Stadt – für die Piraten, nur warum? „Die Erzählung hat nicht gestimmt“, sagt Reinhardt, das, was „nach draußen“ vermittelt wird, den Berlinern. Vielleicht auch, weil andere die Unzufriedenen nun erreichen.

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