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Berlin: Grüne lassen WielanddenVortritt

Dutschke-Sohn unterliegt im Rennen um Platz zwei der Liste. Renate Künast ist Spitzenkandidatin

Von Sabine Beikler

Bei Claudia Roth überkommt einem schnell das Gefühl, auf einer riesigen Sommerblumenwiese mit fröhlich summenden Bienen unter blauem, wolkenlosen Himmel zu liegen. Als die Grünen- Parteichefin am Sonntag zu 789 Berliner Grünen spricht, scheint der grüne Wahlkampf plötzlich ganz einfach zu sein. Roth, rosa Hose, rosa-gelb-grün gemusterte Jacke, schwärmt von den „supertollen Kandidaten in Berlin“, die in der Urania auf der Landesliste zur Bundestagswahl nominiert werden sollen, und wünscht dem „Ströbi“ wirklich so richtig gute Chancen, wieder das Direktmandat in Friedrichshain-Kreuzberg zu holen.

Wer aber hat die besten Chancen, auf Platz zwei der Landesliste gewählt zu werden? Rudi Dutschkes Sohn Marek, der 25-jährige Kandidat von außen? Wolfgang Wieland, 57, der frühere Berliner Grünen-Fraktionschef, Ex-Justizsenator und Brandenburger Spitzenkandidat im vergangenen Jahr? Oder setzt sich der 55-jährige Wirtschaftspolitiker Werner Schulz durch, der letzte Bündnis 90-Politiker bei den Grünen im Bundestag? Schulz hatte sich vor drei Jahren bei der Listenaufstellung zur Bundestagswahl 2002 in einer furiosen Rede gegen den Parteilinken Christian Ströbele und die frühere Gesundheitsministerin Andrea Fischer auf Platz zwei durchgesetzt.

Bei den Grünen Sympathien schon vor Abstimmungen einzuschätzen, ist fast unmöglich. Auch am Sonntag trifft sich ein kunterbunt gewürfelter Haufen von Grünen-Mitgliedern in der Urania: Alt-68er, Anzugträger, junge Leute in Jeans, Flip-Flops oder T-Shirt-Kleidern.

Der junge Dutschke tritt als Erster ans Mikrofon. Er kann seine Parteifreunde nicht mitreißen. Seine Argumente sind schwach und konzentrieren sich auf Schlagworte wie „mehr Verantwortung“, „bessere Außenpolitik“, „zentrale grüne Ziele“ und „Politik mit Zwischentönen machen“. Der Applaus fällt höflich, aber kurz aus. Der zweite Redner ist Werner Schulz. Er spricht offensiver, streift die Notwendigkeit einer „kräftigen, ideenreichen Opposition“, von einem „Befreiungsschlag, wenn die Grünen die Schere im Kopf, den rot-grünen Adapter los werden“. Schulz will Sympathie erheischen, aber er trifft daneben, weil er sein eigenes Engagement anpreist. Eigenlob mögen die Grünen nicht.

Dann kommt Wolfgang Wieland. Er kritisiert das „zu späte Reagieren“ der Grünen in der Visa-Affäre, fordert „mehr Streitkultur“ in den Bundesgremien seiner Partei und spricht vom „Hartz- IV-Trauma“. Das Wort „nachbessern“ habe ein Grüner lange nicht in den Mund nehmen dürfen. „Stattdessen fiel uns ‚Gerechtigkeitslücke schließen’ ein.“ Damit hat er die Lacher auf seiner Seite. Wieland beendet seine Rede mit einem Seitenhieb gegen den Dutschke-Sohn. „Sind die 68er tatsächlich out? Wir haben noch lange nicht fertig“, sagt Wieland in Anlehnung an Fußballtrainer Trapattoni. Die Mischung aus Ernsthaftigkeit, Humor und guter Rhetorik hat die Mitglieder überzeugt: Wieland gewinnt schon im ersten Wahlgang mit 516 Stimmen gegen Schulz (169) und Dutschke (104).

Die besten Chancen, auf Platz eins der Landesliste gewählt zu werden, hatte schon vor der Mitgliederversammlung unangefochten Verbraucherschutzministerin Renate Künast. Sie spricht vom „notwendigen Bild der Geschlossenheit“, das die Grünen ausstrahlen müssen, vom „neoliberalen Kurs der Kälte einer schwarz-gelben Republik“ und von den Problemen der Globalisierung. „Die Welt ist nicht mehr so, wie sie Angela Merkel uns einzureden versucht.“

Künast trifft mit ihrer Rede die Nerven ihrer Parteifreunde: Sie setzt sich gegen eine andere Bewerberin durch und gewinnt haushoch mit 674 Stimmen (88,3 Prozent) den Listenplatz eins. Auf Platz drei wird Fraktionschefin Sibyll Klotz nominiert. Die ersten drei Plätze gelten bei den Berliner Grünen für einen Einzug in den Bundestag als relativ sicher.

Die beiden Verlierer von Platz zwei, Schulz und Dutschke, wollen es jetzt wissen: Sie konkurrieren neben Schulpolitiker Özcan Mutlu und zwei anderen Bewerbern um Platz vier. Es kommt zur Stichwahl zwischen Schulz und Mutlu, die der Schulpolitiker gewinnt. Schulz findet das „schade“, will nicht mehr weitermachen. Und Marek Dutschke? Er kämpft. Nach Platz fünf für Umweltpolitikerin Claudia Hämmerling kandidiert er auf Platz sechs. Dutschke verliert. Gegen einen anderen jungen Grünen.

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