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Abschied aus der Doppelspitze. Nach dem Scheitern der rot-grünen Koalitionsverhandlungen unterlag Fraktionschef Volker Ratzmann im parteiinternen Machtkampf und trat zurück – und kehrte der Landespolitik am Ende ganz den Rücken. Jetzt führt Ramona Pop die Fraktion vorerst allein. Foto: dpa/Kahnert

© picture alliance / dpa

100 Tage Bilanz: Grüne suchen noch nach sich selbst

Nach der Wahlschlappe und parteiinternen Machtkampf hat sich die Grünen-Fraktion bisher kaum profiliert. Sie ist noch weit davon entfernt, ihren Anspruch zu erfüllen, die Oppositionsführerschaft zu übernehmen.

Von Sabine Beikler

Die Selbstzerfleischung ist beendet – vorläufig. Aber die Wunden in der Grünen-Fraktion müssen noch heilen. Man verhält sich wieder freundlich zueinander. Eine Abgeordnete sagt, die „Destruktionsmaschinerie“ sei ausgesetzt und meint damit den früheren Fraktionschef Volker Ratzmann und andere. Ramona Pop ist inzwischen die alleinige Chefin der 29-köpfigen Fraktion. Sie arbeitet solide und kennt als erfahrene Politikerin den parlamentarischen Alltagsbetrieb. Aber sie ist nicht der „Kopf“ der Fraktion und kann das Profil allein nicht schärfen. Die Grünen sind in dieser Legislaturperiode noch weit von ihrem eigenen Anspruch entfernt, die Oppositionsführerschaft zu übernehmen.

Von ihrer Wahlniederlage haben die Grünen nachhaltige Blessuren davongetragen. Siegessicher und selbstbewusst gingen die Grünen mit ihrer Spitzenkandidatin Renate Künast in den Wahlkampf. „Eine für alle“ lautete das grüne Motto. Das Ergebnis war mit 17,6 Prozent zwar das beste, das die Landespartei je bei einer Abgeordnetenhauswahl erzielt hatte. Doch die Grünen lagen weit hinter ihren eigenen Erwartungen zurück und wurden drittstärkste Kraft hinter SPD und CDU. Dann scheiterte der Versuch einer rot-grünen Koalition. Was danach in der Grünen-Fraktion folgte, war ein Drama um Posten und Macht. Aus dem harmonischen Slogan „Eine für alle“ wurde die Kampfansage „Jeder gegen jeden“.

Gleich zu Beginn ihrer Arbeit als stärkste Oppositionsfraktion mit 29 Mitgliedern drohte den Grünen die Spaltung. Von inhaltlicher Arbeit konnte überhaupt keine Rede sein. Die Parteilinke akzeptierte zunächst die neu gewählte Fraktionsspitze mit Ramona Pop und Volker Ratzmann nicht. Die zwölf Mitglieder zählende Parteilinke um Dirk Behrendt stellte die Machtfrage. Einmalig war die Einsetzung der Mediatoren Wolfgang Wieland und Michaele Hustedt. Während des Vermittlungsprozesses trat Ratzmann vom Vorsitz zurück, Pop blieb Fraktionschefin im fünfköpfigen Vorstand. Im Herbst wird der Fraktionsvorstand turnusmäßig erneut gewählt – dass sie alleinige Fraktionschefin bleibt, ist unwahrscheinlich.

Inzwischen hat Volker Ratzmann sein Mandat niedergelegt und arbeitet als Bundeskoordinator in der baden-württembergischen Landesvertretung. Auch der erfahrene parlamentarische Geschäftsführer Heiko Thomas trat aus persönlichen Gründen zurück, sein Nachfolger ist Benedikt Lux. Ob Lux dieses Amt, das Fingerspitzengefühl und Diplomatie in den Absprachen mit den anderen Fraktionsgeschäftsführern verlangt, ausfüllen kann, wird sich noch zeigen.

In ihrer 100-Tage-Bilanz weisen die Grünen auf ein Dutzend Initiativen im Parlament hin. Die meisten jedoch wurden abgelehnt und in Ausschüsse verwiesen. Einzig die von ihnen im Antrag aufgezeigte Warnung vor dem polnischen Atomprogramm wurde in einem Allfraktionen-Antrag einstimmig beschlossen.

Auf Betriebstemperatur ist die Fraktion noch lange nicht. „Wir wissen, dass wir Vertrauen zurückgewinnen müssen“, sagt Ramona Pop. Sie spricht von einem „Umbruch“ in der Fraktion nach dem Chaos der ersten Monate. Hinzu kommt, dass auch die 13 neuen Fraktionsmitglieder nur langsam Tritt fassen.

Lautete unter Rot-Rot das grüne Credo „konstruktiv, kreativ, kritisch“, verfolgte die Fraktion mit CDU und FDP kurzzeitig das Konzept „Jamaika in der Opposition“. Das war einmal. Heute setzt die Partei auf Eigenständigkeit, einen „Kurs der Offenheit“ und will eine Politik für alle Berliner anbieten. Die Grünen pochen auf Eigenständigkeit und lassen sich allenfalls auf punktuelle Kooperationen mit Linken und Piraten ein. Eine „trotzige Nein-Opposition“ gegenüber Rot-Schwarz, lautet ein Klausurbeschluss der Fraktion, soll es auch nicht geben. Ihre Schwerpunkte setzen die Grünen in Beteiligung und Transparenz, einen „green new deal“ für Berlin und die soziale Stadt. Der Anspruch der Fraktion, sich thematisch breit aufzustellen, ist in den ersten 100 Tagen aber noch nicht erkennbar geworden. Dazu war sie noch zu sehr mit sich selbst beschäftigt.

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