zum Hauptinhalt

Berlin: Grüne Woche: Folklore, Bier und den Likör "Stalins Tränen"

Der Vertreter der polnischen Wurstfabrik hat die Zeichen der Zeit längst erkannt: "Probieren Sie diese Cabanossi. Alles aus Geflügel!

Der Vertreter der polnischen Wurstfabrik hat die Zeichen der Zeit längst erkannt: "Probieren Sie diese Cabanossi. Alles aus Geflügel!", ruft er den Vorübergehenden zu. Und die bleiben tatsächlich stehen, probieren, nicken, kaufen. Die Ungarn setzen in ihrer Präsentation massiv auf Gemüse, die Tschechen auf Bier und einen Likör namens "Stalins Tränen". Und überall gut gelauntes Personal in Trachten, folkloristische Musik, Tourismus-Werbung. Das war nicht immer so: Wer sich an die kläglichen Grüne-Woche-Stände der ehemaligen Ostblockländer noch vor ein paar Jahren erinnert, merkt, wie schnell die EU-Beitrittskandidaten aufholen.

Vorbei sind die Zeiten, zu denen graue Beamte der Außenhandelsministerien unansehnliche Konserven und zweifelhafte Spirituosen anboten. Die Zeiten, zu denen potenzielle Geschäftspartner aus Deutschland vielleicht enttäuscht weiterzogen, weil am Stand niemand Deutsch oder Englisch konnte. Die Zeiten, als die Auftritte der Nachbarländer vor allem Mitleid erregten. Allerdings: Einige der Staaten, die Mitte der 90er noch mit großen Hoffnungen auf die Grüne Woche gekommen waren, sind nicht mehr dabei. Vor allem die noch armen Länder Lettland und Litauen, Georgien und Armenien, Turkmenistan und Usbekistan können sich die Grüne Woche in diesem Jahr wohl nicht leisten.

Die Messebeteiligung und auch die Art des Auftritts spiegeln die Verhältnisse in den einzelnen Ländern oft recht präzise wieder. Irgendwo auf dem Messegelände stehen in großen Vitrinen die "Warenkörbe des Jahres." Die meisten eilen achtlos vorbei, dabei sind die Kollektionen durchaus aufschlussreich. Im Korb aus Polen gibt es prämierten Kirschlikör, Krakauer Würstchen und Teigwaren.

Die Slowakei ist mit Bier, einer erstaunlichen Auswahl Käse und Marillenbrand vertreten. Ungarn präsentiert Bio-Öl mit Knoblauch, natürlich Salami und Pralinen, aber auch Gänseleber. Die Vitrine, in der die krisengeschüttelte Ukraine ihre Produkte präsentieren sollte, ist leer.

Für Ester Tuiksoo geht es vor allem darum, "den deutschen Markt zu testen." Die stellvertretende Vorsitzende der Landwirtschafts- und Handelskammer von Estland ist mit dem großen Interesse am kleinen Stand des kleinen Landes mehr als zufrieden. Bier, Wurst und Käse finden guten Absatz, obwohl man sich mit dem Preisen nicht gerade als Billig-Land präsentiert. Dafür gibt es fundierte Information über die vertretenen Firmen und den estnischen Außenhandel. Aus einer Broschüre geht hervor, dass einige Molkereibetriebe des Landes bereits den EU-Standards entsprechen.

Ungarn ist das einzige ehemalige Ostblock-Land, das den Messeauftritt gewissermaßen privatisiert hat: Das "Agrarmarketing-Centrum" ist ähnlich organisiert wie die deutsche CMA, und dessen Chef László Bercsényi sagt, vor allem bei Gemüse und Wein wolle sein Land gegen die Konkurrenz aus den Niederlanden und Frankreich antreten. Smart wie er ist, sagt er nur in einem Nebensatz, dass es auch "einen Wettbewerb unter den Beitrittskandidaten gibt." Da geht es dann um Profil, und Ungarn will auf Öko setzen und so die Bier trinkenden Rivalen aus Tschechien ausstechen.

Das Problem mit der Konkurrenz sehen auch die Geschäftsleute aus der Slowakei. Eine kleine Brauerei hat es schwer, gegen bereits auf dem West-Markt eingeführte Produkte wie Budovar- oder Louny-Bier zu bestehen. Doch die Menschentraube um den (ethnologisch nicht ganz passend) mit einem Vikinger-Helm bekrönten estnischen Bierverkäufer beweist: Ein sympathisches Produkt wie das Bier der Tallinner Brauerei A. Le Coq hat auf der Grünen Woche durchaus Chancen.

Vielleicht kann sich Ester Tuiksoo auch deshalb einen gemeinsamen Stand mit den ärmeren Nachbarn im Baltikum nicht so richtig vorstellen. Sie sagt aber lieber, dass es "eben auch kulturelle Unterschiede gibt."

Jörg-Peter Rau

Zur Startseite