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Berlin: Grüne Woche: Rösser vor dem Werbekarren

Die diesmalige Grüne Woche beginnt mit einem prächtigen Aufgalopp von ungefähr 150 Pferden. Die ersten vier Tage gehören dem Kaltblut, diesen herrlich mächtigen, herzig gutmütigen Arbeitspferden mit den prächtigen Hintern, die man füglich bei Pferden Kruppen nennt.

Die diesmalige Grüne Woche beginnt mit einem prächtigen Aufgalopp von ungefähr 150 Pferden. Die ersten vier Tage gehören dem Kaltblut, diesen herrlich mächtigen, herzig gutmütigen Arbeitspferden mit den prächtigen Hintern, die man füglich bei Pferden Kruppen nennt. Aus allen bedeutsamen Gestüten Deutschlands werden Ross-Abordnungen zum Funkturm entsandt. Und am Ende steht sogar eine Kür, bei welcher aus jeder Rasse - Kalt- und Warmblut - der beste deutsche Hengst, die beste deutsche Stute ermittelt werden: "Mister Hengst" und eine "Miss Stute". Beide aus Germany. Weder Ost noch West. Diese seit zehn Jahren doch hoffentlich überwundene politische Himmelsrichtung freilich findet sich in der offiziellen Ankündigung der 4. Bundesschau mit erstmaligem Schwerpunkt "Pferdezucht und -sport im Osten Deutschlands".

Und sollte ein Pferd aus Mecklenburg-Vorpommern oder aus Moritzburg bei Dresden oder aus dem brandenburgischen Gestüt Neustadt / Dosse den Sprung aufs Siegerpodest schaffen, dann vermeide doch man bitteschön diesen abgehalfterten Politbegriff "Osten Deutschlands". Man spricht ja auch nicht von einer Pferdezucht im Westen Deutschlands, wenn es sich um ein bayerisches, ein Schwarzwälder oder Schleswiger Pferd dreht.

Schlimm genug, dass diese ewige Ost-West-Klassifizierung bei Menschen noch immer kein Ende nehmen will. Nun könnten doch wenigstens die aus allen Teilen Deutschlands sich in Berlin versammelnden Pferdezüchter Vorreiter für vernünftige Begriffe sein.

Ein Wort zum Amtsschimmel

Wenn wir hier schon bei fatalen Begriffen sind, die Pferden aufgesattelt werden, dann auf ein klärendes Wort zum "Amtsschimmel". Der hat nun reineweg nichts mit einem Schimmel zu tun. Hier liegt eine schlimme Ungerechtigkeit gegenüber dem Schimmel vor; denn ihm wird sprichwörtlich unterstellt, langsamer zu ziehen, zu arbeiten als andere Pferde. Die allergrößte Gemeinheit freilich gegen das Pferd ist dessen Gleichsetzung mit einem Beamten.

Woher also kommt diese begriffliche Rosstäuscherei? Aus Österreich. Dort aber nicht etwa aus der Wiener Hofreitschule mit den schönen Lipizzanern, sondern von einem Musterformular, einem Vordruck, dem "Simile". Und das Wort hat eine lateinische Herkunft: similis = ähnlich. Der Klang dieses Wortes wurde zum "Schimmel" entstellt. Und schließlich wurde der Amtsschimmel draus.

Das findet im hiesigen "Schema F" seine freilich nicht hippophobe, doch ebenfalls bürokratische Entsprechung. Im preußischen Heer wurden Frontrapporte mit mit einem "F" versehen. Sie wurden nach einheitlichem Muster verfasst - eben nach "Schema F".

Was nun das mächtige Kaltblutpferd, dieses getreue Arbeitstier betrifft, so steckt in ihm nichts, aber auch gar nichts Amtsschimmeliges. Es bewegt sich nicht gerade wie ein schlankes Vollblut oder Warmblut unterm Sattel, aber zuverlässig kräftig in den Sielen. In Berlin hieß das größte Schultheiss-Brauereipferd, ein belgisches Kaltblut wie es im Buche steht, "Erodes". Es preschte mit seinesgleichen im Sechsspänner eines mit Fässern hoch beladenen Wagens zu früheren Grünen Wochen in der Deutschlandhalle in die Arena, erst im Trab, bald im Galopp - Ehre seinem Andenken. Die Brauerei schaffte ihre Kaltblüter kaltblütig ab. Nun wird auf dieser Grünen Woche ein Pferd der "weltgrößten" Rasse einen Brauereiwagen durch die Ausstellungsarena ziehen. Und es müsste ein Wunder geschehen, wenn es keine Brauerei wäre, die dieses Pferd vor ihren Werbekarren spannte.

Ekkehard Schwerk

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