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Grüne Woche: Und der Primas spielt den Csardas

Ganz Ungarn in einer Halle? Ferenc Gábor, Solo-Bratschist in Berlin, besucht sein Land bei der Grünen Woche – und findet ein kleines bisschen Heimat.

Fahr doch mal nach Jamaica: „Take a Trip to Jamaica.“ Ferenc Gábor guckt verblüfft auf den Flyer in seiner Hand. Den hat ihm gerade ein junger Mann zugesteckt – am Eingang zur Ungarnhalle auf der Grünen Woche. Dabei will der Exil-Ungar Gábor, der seit 1994 in Berlin lebt, doch gerade eine Art Kurzreise in sein Heimatland unternehmen – ohne die Stadt zu verlassen. Gábor lacht, steckt den Jamaica-Flyer in die Tasche und wendet sich stattdessen dem Land der Magyaren zu, das in diesem Jahr offizieller Partner der Messe ist. Auf 1700 Quadratmetern ist in Halle 10.2 eine Art Miniversion des Puszta-Landes entstanden, mit 41 Ausstellern. Aber wie ungarisch kann es in einer deutschen Messehalle eigentlich zugehen? Das will sich Gábor einmal ansehen.

Er bleibt neben einem dreidimensionalen Modell des Plattensees und seiner Umgebung stehen. Aber er schaut nicht auf die Spielzeugboote, sondern unbestimmt in die Gegend, horcht. „Die Musik ist ja eine Enttäuschung“, sagt er. Weichgespülter Pop auf Englisch. Kein Wunder, dass ihm das als Erstes auffällt: Gábor ist Musiker, Solo-Bratschist des Konzerthausorchesters Berlin und Gastdirigent bei vielen verschiedenen Orchestern in der ganzen Welt. Auch das Budapest Festival Orchester hat der 48-Jährige schon dirigiert. „Ungarn hat eine einzigartige Volksmusiktradition“, sagt er.

Ein paar Meter entfernt, im Restaurant, versucht ein Musiker in ungarischer Tracht mit einem Akkordeon gegen den Popsong anzuspielen: „Das ist auch nicht gerade ein typisches Instrument. Und was er spielt, ist nur billiger Quatsch.“ Lange hält Gábors Enttäuschung nicht an, denn jetzt entdeckt er seinen Landsmann Pal Dardai, Fußballspieler bei Hertha BSC. Der Sportler sitzt auf einer Treppe, die zu einer Empore in der Halle führt und gibt Autogramme. Geduldig stehen die Messebesucher Schlange am Fuß der Treppe. Der Bratschist sieht sich das lieber von Weitem an. Er ist zwar Fußball- und auch Hertha-Fan und findet es spannend, den Spieler mal von Nahem zu sehen. „Aber ein Autogramm brauche ich nicht unbedingt.“

Lieber möchte er jetzt ein Glas Wein. Beim Wein ist der Musiker ganz in seinem Element, er hat in seinem Ferienhaus in Ungarn sogar einen eigenen Weinkeller voller Fässer. Gábor zeigt auf ein Schild an einem Weinstand: „Szekszàrd – das ist eine sehr feine Weinregion, westlich der Donau.“ Und dann beginnt er von heimischen Weinen zu schwärmen: von Stierblut, Tokajer, vom weißen Schafschwanz, von Blaugriff und Somlo. „Wer Letztern in seiner Hochzeitsnacht trinkt, bekommt der Legende nach als erstes Kind einen Sohn. Es wird erzählt, dass die österreichische Kaiserin Sisi das getan hat.“ Aber der legendäre Somlo ist nicht zu finden in der Ungarnhalle. Stattdessen probiert Gábor einen weißen Szürkebarát – zu Deutsch „Grauer Mönch“, die ungarische Version eines Pinot Grigio. „Egeszegedre“ – das heißt „Auf Dein Wohl“, ein wichtiges Wort im Weinland Ungarn. Jetzt kommt Weinverkäufer Gábor Kardos hinter seinem Stand hervor und beginnt über Wein zu philosophieren: „Der Hauptcharakter unseres Weins ist die Wärme.“ Kardos ist kaum zu bremsen, nach fünf Minuten ist man sicher, dass es noch stundenlang so weitergehen könnte.

Aber nicht nur der Wein ist interessant, sondern auch der Name: Wieso heißen beide Gábor? Der eine mit Vor- der andere mit Nachnamen? „Gábor ist die ungarische Form von Gabriel. Wir Ungarn sind eben alle Erzengel“, sagt der Weinhändler lachend. Dirigent Gábor lacht mit und eist sich dann freundlich los. Er will noch das Mangalica-Wollschwein und das Zackel-Schaf besuchen. Die beiden Tiere stehen ausgestopft in der Mitte der Halle, vor einem riesigen Poster, auf dem ungarische Graurinder mit Hörnern so lang und spitz wie Schwerter zu sehen sind. „Die Schafe gibt es nur noch in Reservaten in der Puszta“, sagt Gábor. Neben dem Zackel-Schaf sitzt ein dunkelbrauner Hund mit verfilzten Dreadlocks, ebenfalls ausgestopft. „Das ist ein Puli, ein sehr guter Hirtenhund“, sagt Gábor und seine Stimme klingt fast liebevoll. Noch ein kurzer Abstecher zum Stand mit den Rubik-Würfeln, die in Ungarn erfunden wurden. Dann braucht Gábor noch ein zweites Glas Wein, im Restaurant aus dunklem Holz. „Hier sieht es wirklich ein bisschen aus, wie in einem Csardo, einer Kneipe in der Puszta“, sagt er zufrieden. Und dann spielen die Musiker tatsächlich einen Csardas, einen ungarischen Volkstanz. „Ein sehr guter Primas“, sagt Gábor über den Geiger, der beim Spielen auch noch Ungarisch singt. Jetzt ist Ferenc Gábor tatsächlich in Ungarn angekommen. Jamaica und Berlin sind ganz weit weg.

 Daniela Martens

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