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Der Käse aus Holland scheint Angela Merkel zu schmecken.

© dpa

Grüne Woche: Wo, bitte, geht’s zur Heimat?

Der typische Besucher der Grünen Woche liebt die Kontraste: Der Ochse ist knusprig, die Kuh aus Plüsch. Klaus Wowereit bekommt plötzlich einen Teller Austern gereicht, aber der bleibt unberührt. Ein Spaziergang über die Grüne Woche.

Es sind die kleinen Begegnungen, die die große Grüne Woche zum Ereignis machen. Solche zum Beispiel: Droben auf der Bühne der polnischen Region Kujawsko-Pomorskie schmettert ein Tenor im Frack sentimentale Lieder zum Playback – und unten, vor seinen Füßen, latscht ein freundlicher Stör vorbei. Er hat vermutlich irgendeinen Werbeauftrag, egal, jetzt ist Pause, da hebt er seinen Plüschschwanz und geht ein Stück.

Drüben, wo sich die deutsche Agrarwirtschaft bei Bier und Brezeln ballt, ist gerade Ilse Aigner eingetroffen. Kaum steht sie auf der Bühne, versucht der Moderator eine Beckenbauer-Imitation und deckt die verdutzte Ministerin mit Sprüchen ein. Aber so ernst nimmt sie diesen Funktionärsaufmarsch auch wieder nicht, sie war grad stundenlang mit Klaus Wowereit und schätzungsweise hundert Fotografen unterwegs, da ist ihr jeglicher Hauch von Heimat grad recht: „Hightech mit Herz und Verstand“, bitte, geht doch.

Heimat, die gibt es hier überall und für alle. Man könnte die Grüne Woche eine Bier-, Bratwurst- und Akkordeon-Messe nennen, so unfassbar heimelig geht es zu in der Thüringer Kloßwelt, bei den Rostocker Honig-Wikingern und Piraten und beim bulgarischen Folklore-Techno. Bei den Österreichern – immer größerer Auftritt! – seppelt ein Quetschkommodist „Eine Herde weißer Schafe, das ist mein Königreich“ dahin, und die dunkle Wohligkeit des irischen Pubs nimmt etwa doppelt so viel Fläche ein wie die gesamte Repräsentanz der Volksrepublik China. Doch da schläft vermutlich ein Riese, der bald Hallen füllen wird mit seinen Erzählungen von Geld und Größe.

Der typische Besucher der Grünen Woche liebt die Kontraste. Er betrachtet liebevoll struppig schnuffelnde Ochsen – und reiht sich dann unsentimental gegenüber ein, wo ein anderer Ochse gerade schön knusprig am Spieß rotiert. Im Weltreich der Russen gibt es Pelmeni zu kosten, die traditionellen Teigtaschen – für 10 Euro auch in der Variante mit Bär. Hallo? Geht man so mit dem Wappentier der Gaststadt um?

Egal. „Tippen Sie auf die Nummer und zeigen mit den Fingern die Menge an“, steht sachlich über einer Theke, „es mag sein, wir sprechen nicht Deutsch, sprechen Sie vielleicht Russisch?“ Kann ja auch ein Übersetzungsfehler gewesen sein. Ums Eck öffnet sich die Wunderwelt weißrussischer Getränke, hergestellt von ... wie bitte? „Belgopsischtscheprom“ heißt der Konzern, das wird auch nicht leicht werden mit der Vermarktung in Deutschland.

Die holländischen Partnerländler können das natürlich besser. Alles in ihrem Auftritt ist auf Einladung getrimmt, es duftet nach Poffertjes und Käse, und auf den Blumenbeeten leuchten Tulpen, Azaleen und Hyazinthen, als gäbe es keinen Winter. Gerade hebt die Blaskapelle an, „Tulpen aus Amsterdam“ zu schmettern, die Pflichtnummer, wenn die Prominenz naht, in diesem Fall handelt es sich um den Wowereit-Pulk, der mit der vernichtenden Wucht zahlreicher Bodyguards in die Menge hineinschneidet und dann, plötzlich, zum Stillstand kommt.

Ein Funktionär hält dem Regierenden einen Teller mit Austern hin, holländische Spezialität. Die Fotografen können ihr Glück kaum fassen, der Partymeister ist zurück! Aber so clever ist Wowereit schon lange, dass er sich nicht mehr beim höflichen Genießen erwischen lässt, der Teller bleibt unberührt, die Karawane zieht weiter.

Die Blumenhalle. „Wie ist die Blumenhalle?“, fragen altgediente Grüne-Woche-Profis, oft schon deshalb, weil das die einzige Attraktion ist, die ihren angestammten Platz über Jahrzehnte nie verlassen hat. In diesem Jahr wirkt sie sehr hell, schön bunt wie immer, aber ein wenig unkuschelig flach und transparent bepflanzt, durchsetzt von einer Modenschau vergangener Epochen.

Jetzt was essen.  Aber wo? Überall schnöde Selbstbedienung. Die einzige Gelegenheit, sich kultiviert bedienen zu lassen, bieten die käseseligen Schweizer. Eine „Lozärner Chögelipastete serviert im Röstipastetli“ kostet 10 Euro 50, das sollte doch noch drin sein, das ist gerade mal 50 Cent teurer als die Bratwurst vom Wagyu-Rind, die es in der Tierhalle gibt, fraglos die teuerste aller Würste in dieser Berliner Wurstwelt. Verlockender machen es wieder die Norweger, die pausenlos kleine Häppchen für ein oder zwei Euro ausreichen, Lachs, Seeteufel, Elch, dazu eine Kugel Aquavit-Eis?

Oder einfach noch ein Bier. „Zu jedem Zwönitzer Fassbier“, so lesen wir, gibt es „eine Bierknacker gratis.“ Na also. Vegetarisch, das machen wir morgen wieder. Und ganz sicher nicht hier.

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