zum Hauptinhalt

Grünen-Fraktionschef Ratzmann: „Geschlossene Heime können als Hilfe sinnvoll sein“

Der Fraktionschef der Berliner Grünen,Volker Ratzmann, über den Umgang mit kriminellen Kindern, den Willen zum Regieren und die Opposition.

Vor eineinhalb Jahren wurden Sie und SPD-Fraktionschef Michael Müller nach der Höhe der Übereinstimmungen gefragt. Sie kritzelten die Zahl 75 Prozent auf einen Zettel, Müller kam auf 70 Prozent. Was für eine Zahl würden Sie heute auf den Zettel schreiben?

Immer noch 75 Prozent. Wir stimmen in vielen inhaltlichen Fragen wie Sicherheits-, Bildungs- oder Migrationspolitik nach wie vor überein. Nur in unserem Staatsverständnis unterscheiden wir uns. Die SPD wird mehr und mehr etatistischer, also staatsorientierter, und nähert sich der Linkspartei an. Darin unterscheiden sich die Grünen: Wir stellen die Eigenverantwortung und Selbstorganisation stärker in den Mittelpunkt von Politik. Und wir setzen andere Schwerpunkte: Klimapolitik und Bildung.

Konstruktiv, kreativ, kritisch sollte die Jahre zuvor grüne Oppositionspolitik sein. So individuell ist die grüne Politik aber nicht mehr: Knapp ein Dutzend Anträge haben CDU, Grüne und FDP inzwischen gemeinsam verabschiedet. Sind die Grünen jetzt auf dem Jamaika-Trip?

Wir sind nach wie konstruktiv und kritisch. Aber wir haben im Vergleich zu früher in der Tat gemeinsame Oppositionspolitik bei Sachthemen wie dem Vattenfall-Kohlekraftwerk, das wir ablehnen, oder der Forderung nach einer Ehrenbürgerwürde für Wolf Biermann betrieben.

Was heißt das für Jamaika? Immerhin ist es dem CDU-Fraktionschef Pflüger gelungen, Schwarz-Gelb-Grün als machtpolitische Alternative zu Rot-Rot aufzubauen. Oder ist Jamaika – wie es der Links-Politiker Harald Wolf sagt – eine Schimäre?

Jamaika steht für eine prozesshafte Entwicklung in der Opposition. Die Erkenntnis für die Grünen nach den Wahlen war: Wir brauchen mehrere Bündnis-Optionen. Aber eines ist auch klar: Jamaika als eine Regierungskonstellation ist nicht spruchreif. Jamaika ist zwar keine Schimäre, hat derzeit aber keinen Realitätsgehalt, wenn es ums Regieren geht.

Also: Worin unterscheiden sich die Grünen noch von der CDU?

Noch ist gut. Wir wollen ein anderes Bildungssystem, mehr Raum für kreative Entwicklungen, weniger staatliche Kontrolle. Es vergeht ja kaum ein Tag, an dem der CDU-Generalsekretär Frank Henkel nicht erklärt, dass er für eine härtere Gangart in der inneren Sicherheit ist. Auch die grüne Forderung in der Drogenpolitik nach einer kontrollierten Heroinabgabe geht mit der Berliner CDU nicht. Mit so einer ideologischen Debatte kann man keine vernünftige Sicherheitspolitik gestalten. Die Berliner CDU hat Scheuklappen vor den Augen, was die innere Sicherheit betrifft. Was wir an gesetzlichen Grundlagen haben ist mehr als ausreichend. Wir brauchen gut ausgebildete Polizisten, die schnell und zielsicher agieren können. Das ist viel effektiver.

Wo liegt bei den Grünen in der Innen- und Sicherheitspolitik die Schmerzgrenze?

Diese Schmerzgrenze ist bei der CDU-Sicherheitspolitik erreicht. So eine Politik ist mit uns nicht zu machen. Schon die grüne Beteiligung an der Sicherheitspolitik von Otto Schily unter Rot-Grün ging manchmal an die Grenze. Auch bei Schily gab es viel Ideologie und viel heiße Luft. Da ist mir die Politik von SPD-Innensenator Körting näher, der Liberalität und Offenheit wahren kann, wenn er will. Nur nicht in der Integrationspolitik: Da geht es mit Abschiebungen zu schnell. Mit CDU-Politikern wie Friedbert Pflüger kann man darüber reden. Aber nicht mit allen Unionspolitikern.

Können Sie mit den, wie Sie sagen, vernünftigen CDU-Politikern auch über die von der Union geforderte Einführung von geschlossenen Heimen diskutieren?

Ich will mit Fachleuten darüber sprechen, wie wir delinquenten Kindern und Jugendlichen helfen können. Geschlossene Heime dürfen kein Strafersatz sein. Nur wenn mir ein Therapeut sagt, ein Jugendlicher kann am besten in einer geschlossenen Einrichtung therapiert werden, bin ich bereit, darüber zu sprechen.

Das müssen Sie genauer erklären. Sie sind also für geschlossene Heime, wenn sie therapeutisch sinnvoll sind?

Ob solche Heime sinnvoll sind, müssen Pädagogen entscheiden und nicht die Politiker. Wenn es Kindern und Jugendlichen helfen kann, muss man darüber reden. Aber nicht, um sie einfach wegzusperren. Damit lösen wir die Probleme nicht. Das zeigen die hohen Rückfallquoten von inhaftierten Jugendlichen.

Aber was macht man mit solchen Kindern wie dem 13-jährigen Adnan, die immer wieder delinquent werden?

Nicht einfach wegsperren, sondern erziehen. Wenn die Eltern das nicht können, müssen es andere Institutionen tun, zur Not mit Hilfe der Familiengerichte, die die Kinder aus ihrem Umfeld holen. Die werden über solche Fällen viel zu selten und zu spät informiert. Das sind Möglichkeiten, die nicht genutzt werden. Ich höre von Jugendämtern, dass sie Fälle aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht weitergeben. Ja, dann muss ich mir doch überlegen, ob ich das Datenschutzgesetz ändere. Darüber können wir gern diskutieren, auch mit CDU und FDP.

Sie diskutieren ja auch über Ökologie und Umweltschutz. Friedbert Pflüger müssten sie doch allein schon aufgrund seiner ablehnenden Haltung zu einem Vattenfall-Kohlekraftwerk in Berlin gut finden.

Das finde ich richtig, dass er sich auch für die Beibehaltung des Atomkompromisses ausgesprochen hat. Wenn er so mutig wäre und die Sicherheitspolitik à la Schäuble kritisch würdigen würde, wäre das der Zusammenarbeit sicher förderlich. Dennoch: Pflüger allein modernisiert noch nicht die Berliner CDU.

Die Grünen haben ihre Haltung auch gegenüber der FDP geändert. Früher waren die Liberalen bei Ihnen als Partei der sozialen Kälte verpönt, heute stellt man gemeinsame Anträge und ist in Privatisierungsfragen nicht mehr so weit weg voneinander.

Die Privatisierungsansätze der FDP sind marktradikal und nicht umsetzbar wie der vollständige Verkauf der städtischen Wohnungsbaugesellschaften oder die BVG-Privatisierung. Infrastruktur muss in öffentlicher Hand bleiben, über den Wettbewerb bei den Dienstleistungen können wir sprechen. Auch den von der FDP geforderten Stellenabbau im öffentlichen Dienst lehnen wir ab. Bei der inneren Sicherheit stimmen wir häufig überein. In Fragen der Ökologie, Bildung und Verkehrspolitik trennen uns Weltmeere.

Wollen die Grünen nach 2011 in Berlin eigentlich mal wieder mitregieren?

Klar. Und wenn Sie wissen wollen, mit wem: mit einer Partei, die ein ökologisches, weltoffenes, integrationsfreundliches Berlin als Hauptstadt in einer modernen Bundesrepublik mitgestaltet. Ob das die SPD ist, muss sich noch zeigen.

Das Gespräch führte Sabine Beikler

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false