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Berlin: Grünen-Fraktionschef Wolfgang Wieland ist gegen eine Bannmeile, aber für Demonstrations-Verbote

In der Debatte um die Versammlungsfreiheit dokumentiert der Tagesspiegel nach Innensenator Werthebach, Staatsrechtler Battis und Verfassungsrichter Eschen den folgenden Beitrag von Wolfgang Wieland, Rechtsanwalt und Fraktionsvorsitzender der Grünen im Abgeordnetenhaus.Am 3.

In der Debatte um die Versammlungsfreiheit dokumentiert der Tagesspiegel nach Innensenator Werthebach, Staatsrechtler Battis und Verfassungsrichter Eschen den folgenden Beitrag von Wolfgang Wieland, Rechtsanwalt und Fraktionsvorsitzender der Grünen im Abgeordnetenhaus.

Am 3. Februar 2000 verfügte die Berliner Polizei auf "Anordnung von Oben" die Schließung der symbolischen Botschaft des tschetschenischen Volkes, hingestellt durch die "Gesellschaft für bedrohte Völker". Zuvor war sie vom Zaun der russischen Botschaft über den Mittelstreifen Unter den Linden in eine Nebenstraße verbannt worden. Nicht "Halten Sie die Klappe", sondern "Schließen Sie die Klappe" hieß es diesmal. Klappe deswegen, weil es sich ebenfalls auf Behördenanordnung um einen mobilen Verkaufswagen handelt, nur eben ohne Currywurst, stattdessen mit Informationen zu einem Völkermord, der noch nicht in den Geschichtsbüchern steht, sondern unter den Augen der Weltöffentlichkeit stattfindet.

Wenige Tage vorher konnten Neonazis wenige Meter entfernt den geschichtlichen Mord an den Juden Europas leugnen. Sie taten es und dies musste man vorher wissen und wusste es auch. Zu einer hierauf und auf alle anderen vorliegenden Gründe gestützten Verbotsverfügung durch den Polizeipräsidenten und die Aufsicht führende Innenverwaltung kam es nicht. Sie haben wieder einmal versagt und wollen davon ablenken - mit wilden Polemiken gegen die Demonstrationsfreiheit und die Richter der Verwaltungsgerichtsbarkeit.

Die im Prinzip vollkommen berechtigte Verbotsverfügung des Polizeipräsidenten hatte nur zwei näher ausgeführte Gründe: Das gerichtsfeste Verbot der NPD-Veranstaltung in Göttingen mit der Gefahr einer Verlagerung nach Berlin als "Ersatzveranstaltung" und den geäußerten Plan, mit "zehn Landsknechttrommeln und diversen Fahnen" aufzutreten. Dies war zu wenig. Die Trommeln untersagte das Verwaltungsgericht. Den tragenden Grund des Göttinger Verbotes, dass nämlich aufgerufen worden war, "die letzte Hochburg der Linken zu schleifen", vermochten die Gerichte - zu Recht - so nicht auf Berlin zu übertragen. Mehr war nicht vorgetragen.

Je später ein Verbot ausgesprochen wird, - hier erst am Vortage - desto schneller und ohne weitere Aufklärungsmöglichkeiten müssen die Gerichte entscheiden, oft erst, während die Teilnehmer schon im Anmarsch sind. Hier hätte es einige Gründe für ein frühzeitiges Verbot gegeben: Der Aufruf im Internet, das Holocaustdenkmal zu zerstören; die Erkenntnisse über die Berliner NPD-Drahtzieher, die am Pariser Platz dann das Ende der Bundesrepublik fordern durften mit der Ankündigung, demnächst "Ordnung zu schaffen"; schließlich die gewollte Nähe zum 30. Januar, dem Jahrestag der Machtergreifung der Nationalsozialisten.

Eine Archivierung der Artikel des Tagesspiegel wäre hilfreich. Aber die Stärke der Innenverwaltung liegt augenscheinlich mehr in der rechtswidrigen Vernichtung brisanter Unterlagen als in deren Aufbereitung für ein gerichtliches Vorgehen.

Aus dem schwarzen Sonnabend sollten die richtigen Lehren gezogen werden

1) Die Wiedereinführung einer Bannmeile trifft die Hunderttausende von Demonstranten, die jedes Jahr friedlich für meist sehr berechtigte Anliegen die Symbolik des Brandenburger Tores suchen. Hier ist tatsächlich ein Forum der Demokratie entstanden, das städtebaulich eigentlich zwischen Kanzleramt und Jakob-Kaiser-Haus geplant war, dessen Realisierung nun als einziges jedoch bisher nicht vorgesehen ist.

2) Eine Bannmeile verhindert keine Naziaufmärsche, sondern verlagert sie lediglich. Ärgerlich sind sie auch in Marzahn oder Hellersdorf. Ein Verbot muss sich aus der konkreten Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ergeben.

3) Innenstaatssekretär Jakesch hat den Richtern keinen Nachhilfeunterricht in Sachen Demonstrationsrecht anzubieten. Wenn eine solche Aufklärung über den Wert eines Grundrechtes jemand nötig hat, dann Innensenator Werthebach mit seiner These, die Brokdorf-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes sei nicht großstadttauglich, sondern eine Entscheidung für Feld, Wald und Flur. Es sei doch nicht vergessen: Gewaltenteilung, Unabhängigkeit der Gerichte - genau dies wollen die Neonazis abschaffen.

4) Gegen alte und neue Nazis hilft nur der gesellschaftliche Gegendruck. Das "Bündnis gegen Rechts" ist wiederzubeleben, das im Juni 1998 durch ein "Lesen gegen Rechts" eine Naziaktion am Brandenburger Tor verhinderte. Auch der Schutz des HolocaustMahnmals durch die Bürgergesellschaft muss dort thematisiert werden.

Das Thema Demonstrationen im Internet: www.meinberlin.de/forum, Kanal Stadtleben.

Wolfgang Wieland

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