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Berlin: Gruppenbilder an der Bordsteinkante

Norman Prang passt auf in seiner Straße: Wenn dort zufällig Autos einer Farbe parken, greift er zur Kamera

Bisher dachte man, parkende Autos würden einfach so rumstehen und die Straßen verstopfen. Der kulthaften Vergötzung des Autos als Individuum stand eine beleidigende Geringschätzung als Massenphänomen gegenüber. Einem bisher unbekannten Bewohner der Greifenhagener Straße in Prenzlauer Berg (berühmt geworden als Streckenabschnitt in „Lola rennt“) ist es nun gelungen, einer bloßen Ansammlung anscheinend zufällig parkender Autos einen verborgenen Sinn, eine geheime Botschaft zu entlocken. Die Botschaft kann eine Farbe sein, ein Muster oder ein Straßenballett mit zwei Kleintransportern und sechs Handwerkern.

Vor zehn Jahren etwa fing es an. Norman Prang, Kurierfahrer und Künstler (er selbst lehnt diese Bezeichnung ab), parkte seinen altersschwachen Volvo an der seinem Haus gegenüberliegenden Straßenseite. Wenig später schaute er aus dem Fenster im 4. Stock und bemerkte, das sich seinem orangeroten Volvo viele andere, ebenfalls rote Autos, hinzugesellt hatten. Über mehrere Tage hielt diese Rotgemeinschaft. Zum Glück hatte Norman Prang rechtzeitig seinen Fotoapparat zur Hand und den magischen Moment festgehalten.

Seit diesen Tagen ist er süchtig. Das völlig planlose Eintreffen eines geordneten Zustands fasziniert ihn. Die geordnete Ordnung hingegen findet er langweilig. Niemals käme er auf die Idee, ein paar Blauautofahrer zu bitten, ihre Wagen zu einer Blaugemeinschaft nebeneinander zu stellen.

Gutmeinende Freunde manipulieren für Norman gelegentlich Fotos, auf denen ein knallgelber ADAC-Hubschrauber über der Greifenhagener Straße schwebt, die voller gelber Autos steht. Sie wissen, dass sich Norman nichts sehnlicher wünscht. Gelbe Autos sind selten, auch mit einer Grüngemeinschaft hat es bisher nie richtig geklappt. Aber es ist ja noch Zeit.

Einmal hat Norman Prang seine Bilder ausgestellt, aber wirklich überwältigend war das Echo nicht. Vielleicht liegt es daran, dass Norman „knipsen“ sagt statt fotografieren und „Zeugs“ statt Kunstwerke. Selbst das Wort „Chronist“ erscheint ihm zu anmaßend. „Spielerei“ lässt er gelten. Die meisten seiner Sätze enden mit „Na, ja“ oder „Mal gucken“. Anschließend pflügt er mit der rechten Hand durch seinen hochflorigen Haarteppich und lächelt.

Der bisherige Lebensweg des 36-jährigen Straßenknipsers führte von Berlin über Algerien und den Iran nach Rostock und wieder nach Berlin. Die ferneren Stationen verdankt er seinem Vater, der für das DDR-Außenhandelsministerium Mähdrescher und Dieselpumpen gegen Devisen tauschte. In den Iran ist er Anfang der 90er Jahre mit dem eigenen Volvo gefahren, um zu schauen, ob die Spielstraßen seiner Kindheit immer noch so aussehen. Er mag es, „wenn sich der Kreis schließt“.

Andere Kreise blieben offen. Studienfächer wie Meliorationswesen, Geografie und Kunsterziehung hat Norman Prang ohne abschließende Beurkundungen hinter sich gelassen. Heute fährt er für ein Chemielabor Spezialmixturen in Forschungsinstitute und hat nebenbei Zeit fürs Knipsen, Zeichnen und die anderen Spielereien, etwa den Comic-Krimi, an dem er arbeitet. Der sollte ursprünglich ein Hörspiel werden, aber als die Redakteurin vom Radio hörte, dass 64 Personen vorkommen, hat sie gleich abgewinkt.

Es ist schon so, dass Norman Prang seine künstlerische Karriere nicht mit letzter Konsequenz vorantreibt, lieber seine Sozialkontakte pflegt und „vor sich hinpuzzelt“, als sich in die Rolle des eiskalten Selbstvermarkters zu zwingen. Er wäre „schon froh über den Erfolg“, aber wenn er nicht von sich aus kommen will, der Erfolg, dann soll er eben wegbleiben. Norman ist ein außergewöhnlich bescheidener Mensch. „Mein einziges Glück ist, vor meinem Wohnhaus immer einen Parkplatz zu finden.“

Norman Prangs aktuelles Auto ist übrigens ein Renault rapid, so ein Kastenwagen in weißer Ausführung. Wer das hier liest und auch ein weißes Auto fährt, könnte ja mal rein zufällig…

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