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Berlin: Guck mal, wer der hämmert

Der Mieterverein kämpft seit 125 Jahren in Berlin.

Mit 1000 aufgebrachten Berlinern hatten sie gerechnet und einen der größten Veranstaltungssäle im Westteil der Stadt gebucht. Denn die Verunsicherung unter Mietern war groß, die Pläne des Senats zur Aufhebung der Mietpreisbindung, würde Hausverwaltern den Spielraum für drastische Mieterhöhungen eröffnen. Doch am Abend der Informationsveranstaltung verloren sich gerade mal 50 Menschen in den leeren Stuhlreihen von Schönebergs „Prälat“.

Reiner Wild, Geschäftsführer des Berliner Mietervereins, erzählt diese Anekdote aus den späten 1980er Jahren, wenn man ihn anlässlich des Geburtstags dieser Berliner Institution auf die größten Enttäuschungen aus den vergangenen 125 Jahren im Dienste der Mieter anspricht. Und es spricht für das Selbstbewusstsein der Mitarbeiter des Mietervereins, dass sie eben auch Rückschläge und Enttäuschungen nicht verschweigen, in ihrem langen Kampf an der Seite der Schwächsten auf dem Wohnungsmarkt.

Schwerer aber wiegen, weil sie eben ernster und verdrießlicher sind, jene echten Niederlagen im Streit um Mieterrechte. Wenn sich beispielsweise skrupellose Rechtsanwälte, von der Aussicht auf Rendite getrieben, an die „Entmietung eines Objektes“ heranmachen. Dann fliegt schon mal die Abrissbirne „aus Versehen“ durch das Küchenfenster einer renitenten Mieterin. Oder es werden im Winter Fenster der bereits entmieteten Wohnungen mutwillig eingeschlagen in der Hoffnung, dass die Rohre einfrieren und die verbliebenen Mieter ohne Wasser dastehen – und ausziehen. Für brachiale Mittel wie diese ist eine Kanzlei bekannt, die für sich wirbt mit dem Slogan: „Wir setzen jeden Vermieteranspruch durch!“

Aber auch großartige Erfolge verzeichnete der Verein und das ausgerechnet in einer Auseinandersetzung mit einem der ganz großen Grundeigentümer: mit Daimler-Benz. Als die Aktiengesellschaft in den 1990er Jahren mit dem Bau eines ganzen Quartiers auf dem früheren Mauerstreifen begann, bebte die Erde und es donnerten die Zwölftonner durch die Seitenstraßen. Gegen die besten Anwälte des Großkonzerns erkämpfte der Mieterverein eine Mietminderung, „die letztlich auch den Auszug der Mieter aus dem Quartier stoppte“, sagt Wild.

Heute ist eine solche Entschädigung nur noch schwer durchzusetzen. Eine „große Ungerechtigkeit“ nennt es Wild, dass die Mieter in der Calvinstraße – die durch Bilder eines zugemauerten Küchenfensters eine gewisse Bekanntheit erlangt haben – drei Jahre lang fortgesetzt dem Dröhnen und Hämmern von Presslufthammern ausgesetzt wurden, ohne dass das Landgericht ihnen dafür einen finanziellen Ausgleich zugesprochen hätte.

Womit wir bei der Frage nach der Gerechtigkeit der Gerichtsbarkeit wären. Im Fall der Calvinstraße entschied zunächst der Richter aus dem Amtsgericht zugunsten der Mieter. Das Landgericht hob dieses Urteil auf und entschied zugunsten des Eigentümers – obwohl dieser den Baulärm selbst verursacht hatte. Amtsrichter seien eben häufig selbst Mieter. Wer es bis zum Landgericht schaffe, habe dagegen oft selbst Grundeigentum und urteile deshalb eher zugunsten von Eigentümern, meint Wild.

Und wie steht der Verein in seinem 125. Jahr wirtschaftlich da? Mit einem Umsatz von zehn Millionen Euro im Jahr, 160 000 Mitgliedern und 90 000 Beratungsfällen jährlich richtig gut. Öffentliche Förderungen fließen nicht in den Verein, die Gehälter der rund 200 bezahlten Mitarbeiter werden ausschließlich aus Beiträgen bezahlt. Zwar sind die Berater ganz überwiegend Rechtsanwälte, die weitaus meisten Fällen werden allerdings außergerichtlich geklärt: Nur über rund 2500 Fälle jährlich müssen Richter entscheiden. Ralf Schönball

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