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Berlin: Günter Wolf (Geb. 1941)

Seine Heimat waren die Baumärkte und die Läden für Restposten.

In den Geschichtsbüchern der großen Expeditionen ist diese Reise nicht verzeichnet, obwohl sie eine logistische Meisterleistung war. Günter hatte seinem besten Freund Detlef versprochen, ihm beim Malern in dessen Ferienhaus zu helfen. Berlin – Bad Steben, 308 km auf der Autobahn. Aber da durfte Günter mit seinem Mofa nicht fahren. In den Zug wollte er nicht, und bei anderen im Auto fuhr er schon gar nicht mit.

Er hatte zwar mal einen eigenen Führerschein, aber den gab er wegen der gelegentlichen Trinkerei freiwillig ab. Seine Überlegung war einfach: Betrunken Auto fahren ist gefährlich, da kann man sich immer noch am Steuer festhalten und Schaden anrichten. Moped ist besser. Wenn ich da besoffen fahre, fall ich um und tu mir nur selber weh.

Berlin – Bad Steben mit dem Mofa übers Land. Er plante die Tankstopps akribisch, versorgte sich mit Sportlernahrung und reichlich Cola, und er bastelte einen windsicheren Aschenbecher für den Lenker, damit es keinen Funkenflug auf der Fahrt gab. Am Berg half er mit den Füßen. 14 Stunden Fahrzeit. „Wusste gar nicht, dass die Strecke so hügelig ist“, bemerkte er nach seiner Ankunft. Die Rückreise schaffte er in 13 Stunden.

Für seine Freunde war Günter keine Reise zu weit. Aber so schnell wurde man nicht Freund mit Günter; das brauchte schon ein paar Jahre. Aber dann hielt es für ewig und drei Tage.

Bei Frauen ging es manchmal schneller, aber da kam dann auch die Trennung rasanter als gedacht. In seiner Jugend war er mal verheiratet. Sie war nicht die Hellste. Wenn sie ein Verlängerungskabel in der Hand hielt, dachte sie, da ist noch Strom drin. Schlimmer aber: Sie war nicht die Treueste. Das hat er ihr nicht verziehen.

Danach hatte er ab und an kleine Liebschaften. Was Festes ergab sich nicht mehr. Da war er vielleicht auch einen Tick zu eigenbrötlerisch. Günter war ein ruhiger Typ und konnte ganz gut mit sich allein. Auch bei der Arbeit. Er ließ sich nicht gern reinreden. In der Firma war er der Chefmaler, was hieß, er konnte mit dem Chef persönlich reden.

„Hör uff mit ,der beste Maler’!“ Dem Juniorchef hat er seine Kellerbar ausgemalt, und da, wo der Lichtschacht ist, hat er ein Aquarium hingezaubert, die Fische hat er aus Holz gebastelt. Ganz in eigener Regie. „Wenn es dir nicht gefällt, mach ich’s wieder weg.“

Sein künstlerischer Erzieher war Bob Ross, der Fernsehmaler. Malen mit der Tupftechnik. Es schadet der Welt nicht, wenn man nicht perfekt den Pinsel schwingt, denn die Welt ist so oder so schön. Günter malte ein Fenster und hängte einen Blumenkasten dran. Er hatte seine stille Ecke im Leben, wo er es sich gemütlich machte.

Die Badewanne tapezierte er Ton in Ton mit der Wand. Er lackierte so lange drüber, bis sich nichts mehr löste. Im Klo brachte er einen Bewegungsmelder an, damit er nachts nicht in das grelle Licht gucken musste, sondern ins sanfte.

Günters Heimat waren die Baumärkte und die Läden für Krimskrams und günstige Restposten. Was er nicht kaufen konnte, das hat er erfunden. An einen langen Plastikdübel klebte er einen Magnet, damit konnte er die Teile wieder aufsammeln, die von seiner Werkbank runterfielen. „Muss ich mich denn im Leben bücken?“

Von seinen Einkaufstouren brachte er Freunden immer mal was mit. Wenn sie bestellten, mussten sie bezahlen, selbst eine Büroklammer. Der Akkuschrauber war nicht bestellt, also musste er auch nicht abgerechnet werden. Malern für Freunde war grundsätzlich gratis. „Wenn ihr mich bezahlen wollt, dann könntet ihr euch auch einen richtigen Maler leisten.“

Da ließ er auch nicht mit sich spaßen. Wenn er sein Moped verschenkte und dafür eine Stange Zigaretten bekam, blaffte er: „Sach mal, hast du mich nicht verstanden? Ich will nichts! Bei den Weihnachtsfeiern verschenkte er gern selbst gebastelte Weihnachtsmänner aus Holz.

48 Jahre hat er als Maler gearbeitet, vier Krankheitstage. Dann war aber auch gut. Er kümmerte sich ab jetzt um den Hof, schippte Schnee, setzte Stiefmütterchen. Hatte ein Auge auf alles. Morgens um sechs, wenn keiner unterwegs war, ging er gern im Volkspark spazieren. Er konnte stundenlang mit seinem Freund am Telefon über Gott und die Welt und ausstehende Bastelarbeiten frozzeln. Jeden Donnerstag telefonierten sie.

In den letzten Jahren fuhr er gern nach Mallorca, mietete ein kleines Studio, wo er seine Ruhe hatte. Seine Liege nahm er aus Berlin mit und ließ sie dort stehen.

Er hat gern Fotos gemacht, vom Hafen und von den Klippen. 42 Jahre hat er allein gelebt und wenn er in trockner Erde ein Blümchen entdeckte, hat er es fotografiert und gemurrt: Doof, dass man nicht die Freude teilen kann.

Er wollte anonym begraben werden, aber da hat er nicht mit dem Sturkopf seines Freundes gerechnet. Also standen sie dann an seinem Grab, was ihn geärgert hat, denn er ließ es regnen, und auch wieder nicht, denn eigentlich waren es Abschiedstränen. Die letzte Reise trat er mit seiner Gummiente an, wie immer. Die legte sein Freund ihm in die Urne. Denn wenn Günter in Urlaub fuhr, hat er für seine Freunde Bilder aus dem Katalog abfotografiert und auf dem letzten Bild war immer die Ente. Ente für Ende.

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