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Berlin: Gut gebucht – und in den Miesen

Das neue Tempodrom am Anhalter Bahnhof freut sich nach einem Jahr über die Auslastung. Dennoch sind Finanzlöcher in Sicht.

„Wir sind das meistgebuchte Haus der Stadt“, freut sich Tempodrom-Chefin Irene Moessinger. Rund ein Jahr nach der Eröffnung hat das steinerne Kulturzelt am Anhalter Bahnhof 200 Veranstaltungen hinter sich gebracht und 300 000 Besucher angelockt. Fast vergessen ist, dass der privat konzipierte Neubau aufgrund immens gestiegener Baukosten nur mit hohem öffentlichen Millionenaufwand fertiggestellt werden konnte. Doch die Geldnöte haben sich längst nicht verflüchtigt, weitere Wünsche nach Landeshilfe sind nicht auszuschließen. Der Landesrechnungshof hat ein Prüfverfahren eingeleitet.

Kürzlich musste die landeseigene Investitionsbank Berlin (IBB) als „Hauptsponsor“ dem Tempodrom 1,5 Millionen Euro zuschießen. Wie viel die Baukosten letztlich ausmachen, ist noch immer nicht abzusehen. Torsten Griess-Nega, der neue Stiftungsratsvorsitzende des Kulturhauses, kann derzeit nicht sagen, „ob das Tempodrom ein Freuden- oder Trauerfall ist“. Der Wirtschaftsfachmann, Geschäftsleiter der Steinbacher Treuhand und Liquidator der Berliner Landesentwicklungsgesellschaft, ist seit 14 Tagen auch der Aufsichtsratsvorsitzende für das Tempodrom. Der letzte Zuschuss, sagt er, habe entgegen anderer Äußerungen mit den drastisch überschrittenen Baukosten zu tun. Rund 60 Millionen Mark waren es Ende 2001, das Doppelte des Betrages, der zunächst veranschlagt war. Rechnungen, auch über die nachträglich fertiggestellte Liquidrom-Therme am Rande des Tempodrom, liefen jetzt noch ein. Man sei dabei, Grund in die Sache zu bringen. Er gehe aber von der Lebensfähigkeit des Hauses aus und arbeite an einem Konzept, das langfristig Gewinne sichere. „Ich hoffe, im Januar die Zahlen zusammenzuhaben.“

Noch vor vier Wochen klang es anders. Da hatte Gerhard Buchholz, über die IBB in die Stiftung entsandt, mitgeteilt, der Zuschuss sei wegen der Wirtschaftsflaute und „Anlaufschwierigkeiten“ nötig gewesen, Sponsoren hätten Gelder gestrichen, außerdem habe das Gebäude nicht so erfolgreich für Sonderveranstaltungen, etwa Firmen-Events, vermietet werden können. Er sprach von einmaligem Zuschuss, im Frühjahr sei das Haus aus dem Schneider. Jetzt will sich Buchholz nicht mehr zum Thema äußern. Und Irene Moessinger sagt, dass die Frage der Zuschüsse Sache der Eigentümer, also der Stiftung, sei. Sie trete mit ihrer Kunst und Kultur in der „Tempodrom GmbH“ nur als Pächterin auf und zahle dafür viel Geld.

Im Stiftungsvorstand sind nach dem Finanzdesaster vom Vorjahr die Senatoren für Kultur, Wirtschaft, Bauen und Finanzen vertreten. Aber im Senat und im Abgeordnetenhaus ist die Bereitschaft denkbar gering, notfalls weitere Millionen für ein privates Projekt locker zu machen. „Es kann so nicht weitergehen, die können uns nicht immer die Pistole auf die Brust setzen“, lässt Wirtschaftsenator Harald Wolf (PDS) ausrichten, andere Senatoren hüllen sich in Schweigen, zumal der letzte Zuschuss auf harsche öffentliche Kritik gestoßen ist. Landessportbundpräsident Peter Hanisch beispielsweise erinnerte an Kürzungen im Sportbereich, während es beim Tempodrom „immer noch zu Subventionen im Sekundentakt reicht“.

Tief sitzt im Senat und bei Parlamentariern der Finanzierungsschock vom Herbst 2001, als kurz vor der Fertigstellung rund 13 Millionen Mark fehlten. Die Stiftung Neues Tempodrom selbst, 1995 von Irene Moessinger und Norbert Waehl gegründet, konnte das Geld nicht aufbringen. Und weil sie dringend Landesgeld brauchte, kam die Stiftung an die staatliche Kandare. Die IBB erklärte sich für einen Zuschuss von sechs Millionen Mark zum Sponsor, ordnete einen Kassensturz an, und das Land gab einen Baukostenzuschuss von 3,5 Millionen Mark, rückzahlbar spätestens Ende 2025, aus Lottomitteln flossen weitere vier Millionen.

Chefin Moessinger, der unzureichende Baukostenkontrolle angekreidet wurde, musste ihren Stiftungssitz räumen. Sie hatte noch 1998 gehofft, den Neubau für rund 30 Millionen zu errichten, allerdings mit öffentlichen Fördermitteln, und 1999 schien bei neukalkulierten Baukosten von 44 Millionen Mark die Rechnung zu stimmen: Die Landesbank gewährte einen Kredit von fast 22 Millionen Mark, zu 80 Prozent durch eine öffentliche Bürgschaft abgesichert. Es gab Millionen aus dem Umweltförderprogramm, einen Lotto-Zuschuss, eine Entschädigung wegen der Zelträumung am Bundeskanzleramt in Tiergarten, und private Sponsoren steuerten knapp eine Million Mark bei.

Nach dem dramatischen Anstieg der Baukosten hatte eine Staatssekretärsrunde nach Aktenlage eine „Vielzahl von ungeklärten rechtlichen und finanziellen Fragestellungen“ erkannt und einen „wirtschaftlich kompetenten, die Interessen des Landes wahrnehmenden Stifungsvorstand“ gefordert.

Beteiligt sind neben der Stiftung mehrere Gesellschaften, zu denen die Firmen Einhorn und Toskana für Gastronomie und Therme gehören. An die Zelt-Ursprünge von1980 erinnert nur noch die Satzung der Tempodrom-GmbH. Da ist von „Erwerb und Vermarktung von Zirkuszubehör“ die Rede.

Christian van Lessen

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