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Berlin: Gut gestampft

Frühmorgens, wenn Tilman Morgeneyer geduscht hat, fühlt er sich jedes Mal bestätigt: Kein Spiegel ist beschlagen und auch die Fliesen braucht er nicht trocken zu wischen. Die Wände seines Hauses atmen, als wären sie vor 100 Jahren gebaut.

Frühmorgens, wenn Tilman Morgeneyer geduscht hat, fühlt er sich jedes Mal bestätigt: Kein Spiegel ist beschlagen und auch die Fliesen braucht er nicht trocken zu wischen. Die Wände seines Hauses atmen, als wären sie vor 100 Jahren gebaut. Denn Tilman Morgeneyer lebt mit seiner Familie in einem Lehmhaus, das auf den ersten Blick so gar nicht in das Bild der Mahlsdorfer Linderhofstraße passt.

Wie hellbrauner Karton wirkt die Fassade des zweistöckigen Gebäudes. Auffallend schmale, hohe Fenster mit blauen Rahmen zieren die Wände. Ein Fachwerk aus Douglasienholz hält das Eigenheim zusammen. Es scheint über der Erde zu schweben, doch in Wirklichkeit wird der Bau von 87 Betonpfeilern getragen. Drei Jahre hat der Tischlermeister an seinem Lehmhaus gebaut. Dafür kündigte er seinen Job und war jeden Tag selbst auf der Baustelle. Ohne seine Eltern, die ihm Geld borgten und seine Frau, die weiterhin ihrer "ordentlichen Arbeit" nachging, hätte er das riesige Projekt allerdings nicht verwirklichen können.

"Es ist ein völlig anderes Wohngefühl", erklärt der Familienvater. "Das Haus ist frei von gesundheitsgefährdenden Stoffen." Auch Wärmedämmung und Speicherung seien ideal. Außerdem sorgen die Lehmwände für ein optimales Raumklima. Sie sind 28 Zentimeter dick und aus "Stoffen gebaut, die andere wegwerfen", sagt Morgeneyer.

So holte er sich 60 Kubikmeter Lehm von einer Bekannten, die für den eigenen Hausbau eine Grube ausheben ließ. Zwei Lastwagen mit zerschreddertem Holz stammen aus einem Sägewerk. Für den Putz mixte er noch Stroh und Pferdemist dazu. Wochenlang mischte, stampfte und presste der junge Mann den Lehm. Nachbarn wunderten sich über die vielen Badewannen, die er zur Lehm-Verarbeitung in seinem Garten aufstellte. Ärger habe es nur hin und wieder mit Behörden, ansonsten lief alles glatt.

Auch wenn sich die vierköpfige Familie mittlerweile schon fast zwei Jahre auf ihren 146 Quadratmetern heimisch fühlt, fertig ist immer noch nicht alles. Morgeneyer möchte noch ein zweites Bad einbauen, blaue Fensterläden anbringen und den zwei Zentimeter dicken Außenputz vervollständigen. Während die zwei Zimmer im Erdgeschoss einheitlich weiß gestrichen wurden, haben sich die beiden Söhne und seine Frau im Obergeschoss ihre Decken farbig gestaltet. Zweieinhalb Liter Quark hat Tilman Morgeneyer übrigens der Wandfarbe beigemischt. "Wie vor 100 Jahren, schon damals diente das Produkt als Bindemittel", erklärt er.

Viel hat der ungewöhnliche Bauherr dem Verein "Lehmkontor Berlin- Brandenburg" zu verdanken. Dort erhielt der Mahlsdorfer Ratschläge über die alte Bauweise. Außerdem studierte er Lehmbau-Bücher und schaute sich fertige Häuser an. "Ungefähr 30 neue Lehmhäuser sind in den vergangenen Jahren in Berlin und im Umland entstanden", schätzt Burkard Rüger vom Verein.

Rund 250 000 Mark musste Morgeneyer Firmen zahlen, die Fachwerk, Dach, Technik und Sanitär übernahmen. Lehmwände, Fenster, Türen und Fußböden hat er selbst angefertigt. "Ein toller Augenblick war das erste Familienfrühstück am Küchentisch", erinnert er sich. "Wir fühlten uns sofort heimisch - weil wir das Haus mit den eigenen Händen errichtet haben."

Steffi Bey

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