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Berlin: Gut gewachsen

Vor Jahren noch undenkbar: Die Hauptstadt-Kultur ist im Aufwind. Neue Projekte und eine erfolgreiche Förderung überwiegen die Probleme

Man hat es noch von fern in den Ohren, doch die alte Jammer-Melodie scheint verklungen. Es hat sich auch bewahrheitet, was jahrelang als Durchhalteparole ausgegeben wurde: Die Kultur ist, neben dem Tourismus, die Berliner Wachstumsbranche. Egal, wie man das Auftreten des manchmal blässlichen Kultursenators Thomas Flierl bewertet: In seinem Etat hat der Senat immerhin maßvoll gekürzt. Und vielleicht, auch das ist eine Erfahrung der letzten Zeit, kommt es nicht immer nur auf die Kulturpolitik an. Die Zeiten, da alles vom Wohl- oder Fehlverhalten der Roloff-Momins und Radunskis abzuhängen schien, sind allemal vorüber.

Denn es hat sich, zum Ersten, der Bund in vielfältiger Art und Weise in die Hauptstadtkultur eingeschaltet. Die Übernahme von Institutionen wie Berliner Festspiele, Gropius-Bau, Akademie der Künste brachte große Entlastung. Auch wenn hier manches im Argen liegt. Doch das ist jetzt auch klar: Nur die Akademie kann sich selbst reformieren und retten. Hier ist die Tendenz zu einer gewissen Entstaatlichung in der Kultur zu begrüßen. Vor allem aber die neueren Förderinstrumente bringen Bewegung: Die Initiative der Bundeskulturstiftung für den Tanz (nicht nur in Berlin) darf als vorbildlich gelten. Auch der Hauptstadtkulturfonds hat sich zu einem wichtigen, fantasiereichen Player entwickelt. Und er wird noch gebraucht. Die Frage zum Beispiel, ob das Hebbel am Ufer eine lokale Spielstätte, ein Haus der Avantgarde, Teil eines internationalen Netzwerks oder eine wilde Ideenschleuder ist, lässt sich nur so beantworten: Das HAU ist all dies zugleich. Solche Orte braucht Berlin, sie leben von einer gemischten Finanzierung.

Private Kulturinitiativen, und das ist die zweite Neuerung, erschließen immer größere Räume. Das Ballhaus Ost in Prenzlauer Berg (mit Anne Tismer und ihrer Truppe), der Admiralspalast an der Friedrichstraße (Eröffnung im August mit Campino und der „Dreigroschenoper“), das Multimediazentrum „Radialsystem“ an der Spree (Einweihung im September mit Sasha Waltz & Co.) werden die Landschaft verändern. Vorerst sollen die neuen Häuser ohne Senatsmittel auskommen, Querfinanzierung über Einzelprojekte nicht ausgeschlossen. Auch die Bar jeder Vernunft mit „Cabaret“ gehört in die Reihe der neuen Gründer.

Es hat sich herumgesprochen, dass die wichtigen deutschen Filmemacher in der Hauptstadt leben und arbeiten: Oskar Roehler („Elementarteilchen“), Andreas Dresen („Sommer vorm Balkon“), Dani Levy („Alles auf Zucker“), Detlev Buck („Knallhart“), Hans-Christian Schmid („Requiem“). Das liegt nicht nur daran, dass das Medienboard Berlin-Brandenburg seine Fördermittel erhöht hat. Bayern und Nordrhein-Westfalen haben größere Filmförderetats, doch Berlin bietet das bessere künstlerisch-intellektuelle Ambiente. Dafür ist Andres Veiel ein gutes Beispiel: Sein Theaterstück „Der Kick“ (über einen grauenhaften Mord an einem Jugendlichen in Brandenburg), koproduziert vom Maxim Gorki Theater Berlin und dem Theater Basel, lief auf Film auf der Berlinale, um die Theaterversion reißen sich die Festivals.

Kein Zweifel: Die Schaubühne am Lehniner Platz hat mit dem Auszug des Tanztheaters von Sasha Waltz einen herben künstlerischen und finanziellen Verlust erlitten. Die Woelffer-Bühnen kämpfen um ihre Existenz – gegen die Umbaupläne des Deutsche-Bank-Investors im Ku’damm-Karree. Hier gibt es immer noch die Möglichkeit, die traditionsreichen Häuser unter Denkmalschutz zu stellen. Die größte Baustelle aber ist die Opernstiftung: Sie wird die geplante Absenkung der Mittel in den nächsten Jahren nicht kompensieren können. Das alte Thema „Braucht Berlin drei Opernhäuser?“ dürfte zur Wiedervorlage kommen.

Dass die gefühlte Betriebstemperatur der Kultur in Berlin höher und angenehmer ist als die Realität an manchen Orten, gehört auch zu den neueren Phänomenen. Früher war es meist umgekehrt.

Rüdiger Schaper

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