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Manchmal verstellt die Kritik an den Regelwerken der Schulpolitik den Blick fürs Gelingen im Alltag.

© Kitty Kleist-Heinrich

Gutes Beispiel: Schule ist schön!

Das Gemecker über den Reformwust des Berliner Senats verstellt den Blick auf den Lernalltag. Der ist nämlich oft: ganz wunderbar. Ist die Kiezschule unseres Sohnes wirklich so ein krass positiver Einzelfall?

Viel ist zuletzt wieder über die Schulen in Berlin geschrieben worden, über die unzumutbaren Zustände und über die verfehlte Reformwut der Verwaltung, über zwangsrekrutierte Fünfeinhalbjährige und die Nachteile des Jahrgangsübergreifenden Lernens. FU-Professoren rütteln die entsetzte Öffentlichkeit wach mit Studien, die beweisen, dass unsere Kleinen heute noch schlechter in Mathe und Deutsch sind als 2002.

Ich lese das alles mit Staunen – denn gleichzeitig erlebe ich, wie wunderbar es an der Schule klappt, auf die unser siebenjähriger Sohn geht. Sicher, die Ruppin-Grundschule liegt im bürgerlichen Friedenau, an der Grenze zum nicht minder bürgerlichen Wilmersdorf. Aber sollte hier wirklich so ein krass positiver Einzelfall vorliegen, ein einsamer Ausreißer nach oben? Haben sich alle Unser-Lehrer-Dr.-Spechts an dieser Schule versammelt? Könnte es nicht sein, dass vieles beim staatlich organisierten Lernen doch funktioniert?

"Wie war dein Tag?" - "Toll!"

So gerechtfertigt die Mäkelei im großen Ganzen oft auch sein mag, an den wirren Richtungs- und Zukunftsentscheidungen der Schulsenatorin und ihren Vorgängern, hier sollen jetzt mal die Lehrer und Erzieher gelobt werden und zwar nicht nur im Nebensatz. „Unsere“ Lehrer, „unsere“ Erzieher, die unserem Filius mit ihrem Engagement so viel Lust aufs Lernen machen. Fragt man ihn nachmittags, beim Abholen vom Hort – der im Schulgebäude integriert ist –, wie sein Tag war, schnellt fast immer der Daumen in die Höhe: „Toll!“

Frederik Hanssen, Kulturredakteur beim Tagesspiegel.
Frederik Hanssen, Kulturredakteur beim Tagesspiegel.

© Thilo Rückeis

Was haben uns die Medien im Vorfeld für Angst eingejagt! Wer die Berichterstattung über das hauptstädtische Schulunwesen verfolgt, gewinnt den Eindruck, dass die lieben Kleinen mindestens der pädagogische Reißwolf erwartet. Was waren wir enttäuscht, als durch eine überraschend-willkürliche Verschiebung der bezirklichen Zuständigkeitsbereiche plötzlich nicht mehr die renommierte Lehranstalt mit musischem Schwerpunkt für uns zuständig war, sondern eine ganz normale Kiezschule?

So professionell geführt, dass Engpässe kaum auffallen

Weil wir aber nicht zu jenen Eltern gehören wollten, die sich gleich dadurch beliebt machen, dass sie ihr Kind per Rechtsanwalt irgendwo reinpauken, fügten wir uns in unser Schicksal – und erlebten eine freudige Überraschung nach der anderen. Das Gebäude ist im Top-Zustand, altehrwürdig und gepflegt, gleichzeitig so fröhlich und kindgerecht ausgestattet wie möglich. Natürlich wird auch hier nicht mit silbernen Löffeln gegessen, natürlich herrscht Raumnot, doch der ganze Betrieb wird so professionell und pragmatisch geführt, dass Engpässe kaum auffallen. In so einem Klima konstruktiven Miteinanders engagieren sich auch Eltern gern. Und die Kinder gehen fast automatisch pfleglich mit ihrem schönen Zweitzuhause um.

Zu den verblüffenden Selbstverständlichkeiten an der Ruppin-Grundschule – und sicher nicht nur hier! – gehören eine jährliche Projektwoche und ein kollektiver Lauf um die Krumme Lanke. Zur Begrüßung der Erstklässler gibt es eine rührende Show der anderen Jahrgänge, die, sehr pfiffig, weitgehend von der Verabschiedung der sechsten Klassen recycelt wird. Jahrgangsübergreifendes Lernen wurde an der Schule zwar zu diesem Schuljahr wieder abgeschafft, hat aber vorher durchaus funktioniert. Ebenso wie die Methoden beim Schreibenlernen: phonetisch und mit Druckbuchstaben, unter Fachleuten ziemlich umstritten. Doch wer erlebt, wie stolz der Sohn nach nur fünf Monaten schon ganze Aufsätzchen zustande bringt, wirft alle Bedenken über Bord.

Klassenfahrt, Museum, Mosaikworkshop

Und dann die Klassenreise: fünf Tage mit 26 Siebenjährigen in der Schorfheide, das tut sich nicht jeder Lehrer an. Unserer schon, jedes Jahr, seit er im Schuldienst ist. Und während die Kids noch mit glühenden Wangen von den Erlebnissen erzählten, ploppt auch schon eine E-Mail auf, mit dem Link zu der Website, auf der wir die 350 (!) Fotos von der Fahrt anschauen können. Keine Woche später übrigens ist der Lehrer schon wieder mit seinen Schützlingen auf dem Weg ins Pergamonmuseum, zu einem Mosaikworkshop.

Gab es bislang überhaupt irgendetwas zu meckern? Ach ja, über das Schulessen, das von einem industriell organisierten Massenverpfleger geliefert wurde. Als meine Frau bei der Schulleitung anregte, doch lieber Köche mit Gesundheitsbewusstsein zu wählen, wurden Angebote eingeholt, Preise verglichen – und tatsächlich der Caterer gewechselt.

Haben wir unverschämt viel Glück oder verstellt die Kritik an den theoretischen Regelwerken der Schulpolitik nur den Blick fürs Gelingen im Alltäglichen? Eins jedenfalls ist klar: Es wird zu wenig gelobt. Überall. Jeder kennt das aus seinem eigenen Lebens- und Berufsumfeld. Ein positives Wort motiviert immer. Nicht nur Minderjährige, auch Erwachsene.

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