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Die Kunst soll bleiben. Nach den Plänen der TU-Studenten müssen keine Ateliers geräumt werden.

© dapd

Besetztes Kulturhaus: Hängende Gärten fürs Tacheles

Seniorenheim, Hotel, Gemüseanbau: Wie sich TU-Studenten die Zukunft der Kaufhausruine an der Oranienburger Straße vorstellen.

Nicht lange ist es her, da hat ein Rechtsanwalt mal wieder sein Scheckbuch an der Oranienburger Straße gezückt. 10 000 bis 20 000 Euro soll es ihm wert gewesen sein, nach drei Künstlern im Mai einen weiteren Aktivisten von der Freifläche an der Kaufhausruine zu vertreiben. Als das Stück Baugrund freigekauft war, wurde der über zwei Meter hohe Zaun, der das kunstbefreite Bauland umfasst, ein Stück weiter gezogen – „wie in Belfast“, sagt Manfred Reiter. Er ist das Sprachrohr der im Tacheles verharrenden Künstler. Und die haben nun „Aussichtstürme“ auf beiden Seiten des umzäunten Gebiets aufgebaut, ähnlich wie in West-Berlin zu Mauerzeiten.

Doch an an diesem verregneten Freitag herrscht Waffenstillstand. Touristen interessieren sich natürlich wie immer für die bunte Ruine. Außerdem aber auch drei Dutzend junge Damen und Herren im feinen Zwirn. Es sind Studenten des 9. Jahrgangs der „Real Estate Management“ der Technischen Universität. Die drei Teams gelernter Juristen, Architekten und Kaufleute haben „Machbarkeitsstudien“ für eine Entwicklung des Areals zwischen Friedrich-, Johannis- und Oranienburger Straße entwickelt: realitätsnah, unter Einbeziehung der verfeindeten Parteien, so die Aufgabenstellung.

Vorbild sind die "hängenden Gärten" der Antike

Marianne Roth, blaue Bluse unter dem gedeckten Business-Kostüm, ist eine von ihnen und redet so schnell, dass es einem schwindlig werden kann. Das Gebiet, sagt sie, müsse in vier Teile aufgespalten werden, um Wohnungen, ein Seniorenwohnheim, Büroflächen und ein Hotel unterzubringen. Ein Teil der Bauten könne CO2-neutral gebaut werden: gute Dämmung erspart die Heizung. Aus ökologischen Erwägungen sieht sie auch „vertikale Landwirtschaft“ vor: Gurken, Tomaten, Erdbeeren und Gartenkräuter sollen die Fassaden emporwachsen – die „hängenden Gärten“ der Antike neuzeitlich interpretiert gleichsam.

Die Ernte wird dann auf dem Wochenmarkt oder an Touristen verkauft, so will man die Bauern finanzieren. Natürlich müssen aber auch Wohnungen, ein Hotel, ein Seniorenheim und Büros gebaut werden. Denn dadurch meistern die Studenten auch diese Aufgabe: Sie müssen mindestens 35 Millionen Euro erwirtschaften durch die Entwicklung und den Verkauf des Baulands, des Parkplatzes und der anderen Flächen – so hoch ist der Verkehrswert des Areals nach einem Gutachten der HSH-Nordbank. Und dieses Geld will die Bank mindestens haben.

Gastronomie, Kunst und Läden eher im Norden, Wohnungen eher im Süden des Areals, das ist das gemeinsame der Entwürfe. Begrünte Dächer und Fassaden, um das „Mikroklima“ in dem Gebiet zu verbessern, sind außerdem wichtig. Einige nennen die „Highline“-Promenade in New York als Vorbild, ein Park, der auf einem ausgedienten, erhöhten Gleisbett angelegt wurde. Keine Planspiele, sondern ein „realistischer Planungsrahmen“ sei da entstanden, betont der Leiter des Projektes Rolf Kyrein.

Die Künstler begrüßen die Pläne

Für die Künstler sind die Vorschläge willkommen – denn auch sie sollen auf dem Gelände bleiben. Allerdings haben sich nicht gerade viele von ihnen an diesem Nachmittag im „Goldenen Saal“ des Tacheles versammelt. Auch Reiter steht draußen vor dem Raum. Er kenne ja die Projekte, sagt er, er habe ja zugearbeitet. Außerdem könne er nicht lange sitzen, wegen seines Arms – verletzt bei Hausarbeiten, wie er versichert.

Und wie geht es weiter mit der Kaufhausruine? Neue Nachrichten von der Gläubigerin, der HSH-Nordbank, gebe es nicht, sagt eine Sprecherin. Die für Anfang des Jahres angesetzte Zwangsversteigerung sei weiterhin ausgesetzt. Und mit der Scheckbuchpolitik im Tacheles habe man auch nichts zu tun.

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