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Berlin: „Härte allein hilft bei Jugendlichen nicht“

Justizsenatorin Karin Schubert (SPD) will keine schärferen Strafgesetze – dafür aber bei uneinsichtigen Eltern schneller durchgreifen

Frau Schubert, warum sterben derzeit so viele Häftlinge?

Die Zahl ist im ersten Halbjahr tatsächlich doppelt so hoch wie sonst. Bei den insgesamt 14 Fällen handelte es sich in sieben um Selbsttötungen, davon fanden sechs in der Untersuchungshaft in Moabit statt und eine in der Frauenanstalt. Von den sieben natürlichen Todesfällen sind einer auf Drogenmissbrauch und drei auf Herz-Kreislauf-Probleme zurückzuführen. In den weiteren drei Fällen stehen die Obduktionsergebnisse noch aus.

Weshalb nehmen sich so viele das Leben?

Wir wissen es nicht. Wir haben nicht weniger Personal als in den vergangenen zwei Jahren, es gab genauso viele Kontrollgänge. Die einzelnen Fälle sind nicht miteinander vergleichbar, man kann keine rote Linie finden.

Und nun?

Wir tun alles, um Selbstmorde zu verhindern. Es hat 1999 schon einmal so eine Situation gegeben. Vollzugsexperten sagen, dass es so etwas wie Wellenbewegungen gibt. Für mich ist das keine ausreichende Erklärung, ich will genau wissen, woran es liegt.

Im letzten Jahr haben der Freiheitsdrang Ihrer Gefangenen und die Pannen im Justizvollzug Sie oft in Erklärungsnot gebracht.

Das Wort „Pannen“ finde ich nicht richtig, wenn man betrachtet, dass die vereinzelten Inhaftierten, die Lockerungen missbraucht haben, sämtlich zurück in ihrer Vollzugsanstalt sind. Einer der Häftlinge kam sogar freiwillig zurück und hat an der Tür der Justizvollzugsanstalt geklingelt.

So gelassen konnten Sie die Ausbruchsserie im Frühjahr aber noch nicht sehen.

Es gab keine Ausbruchsserie …

Nein? Wie würden Sie das denn nennen?

In einigen Fällen sind gesetzlich vorgesehene Vollzugslockerungen von Inhaftierten missbraucht worden. Nachdem es insoweit jahrelang zu keiner Häufung gekommen war und dann plötzlich alle vier bis sechs Wochen etwas passierte, dachte ich schon: Um Gottes willen, das kann doch gar nicht sein! Im Rückblick muss man sagen: Das war eine zufällige Häufung von Fällen, die völlig unterschiedliche Ursachen hatten. In jedem Fall hat es Disziplinarmaßnahmen gegeben.

Hatte sich beim Personal eine Art Schlendrian eingeschlichen?

Nein, denn dann hätte mehr passieren müssen. Sie müssen beachten, dass wir jedes Jahr über 100 000 Vollzugslockerungen haben, Tendenz steigend – und prozentual gibt es in Berlin immer seltener einen Missbrauch. Dennoch: Wir haben jeden Fall in den Fortbildungen zum Gegenstand gemacht. Das Motto lautet: Dieser Fall, wie er sich hier zugetragen hat, darf sich nie wieder so zutragen.

Bald ist der Vollzug Ländersache. Was wollen Sie ändern?

Am Erwachsenenstrafvollzug überhaupt nichts. Das funktioniert, so wie er derzeit gesetzlich geregelt ist, optimal – gemessen an den Mitteln, die zur Verfügung stehen. Bayern, Baden-Württemberg und Hessen wollen ja jetzt offenbar den Standard im Vollzug senken.

Und das finden Sie falsch?

Ja, denn es wäre ein Fehler, bei der Behandlung zu sparen und den Resozialisierungsgedanken in den Hintergrund zu stellen. Wie soll ich die Gesellschaft schützen, wenn ich Zeitbomben produziere? Ich hoffe, dass das Abgeordnetenhaus es genauso sieht.

Und beim Jugendstrafvollzug?

Da werden wir uns am von Bundesjustizministerin Zypries vorlegten Entwurf orientieren. Ende August findet ein Treffen mehrerer Justizminister statt. Mein Ziel ist, dass es möglichst wenige unterschiedliche Jugendstrafvollzugsgesetze in der Bundesrepublik geben wird. Der Erziehungsgedanke muss meiner Meinung nach vordergründiges Vollzugsziel bleiben, ich halte den Wohngruppen- und Behandlungsvollzug für unverzichtbar, es muss Ausbildungs- und Arbeitsplatzmöglichkeiten geben. Wenn wir den jetzigen Standard halten könnten, wäre es gut. Mehr kriege ich nicht durch.

Was spräche gegen einen schärferen Vollzug auch für Jugendliche?

Was sollte das bringen? Wir müssen die Jugendlichen erziehen und ausbilden, damit sie nach der Haft eine Chance haben, in unserer Gesellschaft Fuß zu fassen. Wenn die Jugendlichen im Gefängnis nicht dazulernen, geht es nach der Haft weiter wie vorher: Sie begehen Straftaten.

Also müssen wir uns daran gewöhnen, dass kriminelle Karrieren immer früher beginnen?

Ich bleibe dabei: Schärfere Gesetze oder ein strengerer Vollzug sind keine Lösung. Ich möchte aber erreichen, dass schwerkriminelle Jugendliche konsequent inhaftiert werden. Man darf nicht immer wieder abwarten, das Verfahren einstellen oder die Freiheitsstrafe unter Bewährung stellen. Ich wünsche mir, dass die Strafe schneller auf die Tat folgt und die Zukunftsprognose häufiger weniger euphorisch ausfällt.

Und wenn man die Strafmündigkeit herabsetzen würde?

Es ärgert mich, dass nach jedem bekannt gewordenen Fall der Ruf nach schärferen Gesetzen laut wird. Die Gesetze geben jede Reaktion her. 1845 jugendliche Straftäter hat die Polizei uns gemeldet, davon wurden nahezu 1000 als mögliche Intensivtäter registriert. Fast jeder von denen sitzt oder hat gesessen, deshalb ist unsere Jugendstrafanstalt total überfüllt. Wir machen Ende des Jahres ein weiteres Haus auf, weil sie aus allen Nähten platzt. Das zeigt: Wir haben die passenden Gesetze und wenden sie auch an.

Aber nach dem Mord an Christian aus Zehlendorf haben Sie dafür plädiert, dass nach mehreren Straftaten Wiederholungsgefahr als Haftgrund ausreichen sollte. Was ist daraus geworden?

Darauf habe ich überhaupt keinen Widerhall aus anderen Bundesländern bekommen.

Nicht mal Bayern hat da zugestimmt?

Nein, die Bayern haben einen anderen Ansatz: Sie wollen, dass die Familienrichter auf die Kinder Zugriff haben. Das will ich nicht. Ich will den Familienrichter nicht zum Strafrichter machen.

Sie haben aber gewiss die Äußerungen eines Staatsanwaltes aus der Intensivtäterabteilung gelesen, der sagte: Ohne schärfere Gesetze bekommt man jugendliche Straftäter nicht in den Griff.

Es gibt Staatsanwälte, die wollen den größtmöglichen Erfolg. Das bedeutet aus ihrer Sicht: Kinder und Jugendliche, die noch gar keine Straftat begangen haben, sollen dazu gar nicht erst kommen. Das ist richtig, aber dafür ist die Staatsanwaltschaft nicht zuständig. Ich meine im Übrigen, durch Gesetzesverschärfungen ist dies nicht zu bewerkstelligen. Außerdem ist ein hundertprozentiger Erfolg nicht zu haben. Es werden leider immer Leute nachwachsen, die Straftaten begehen.

Also ist dieser Staatsanwalt nur ein bisschen zu ehrgeizig?

Er hält es zum Beispiel für einfacher, die Strafmündigkeitsgrenze zu senken – auf zwölf Jahre oder sogar darunter. Dann wäre die Staatsanwaltschaft zuständig für kriminelle Kinder. Tatsächlich sind die Familiengerichte für die Lösung des Problems über die Eltern zuständig – und da ist das Problem auch gut aufgehoben.

Geht es nicht mehr um das „Eingreifen müssen“ statt um das „Eingreifen können“?

Die Justiz besteht nicht nur aus der Staatsanwaltschaft. Jetzt geht es darum, die Voraussetzungen für die Familienrichter zu erleichtern. Ich möchte ihnen mehr Möglichkeiten einräumen, gegenüber Eltern, die Erziehungshilfe nicht annehmen, durchzugreifen. Einen entsprechenden Gesetzesänderungsantrag habe ich der Bundesregierung unterbreitet. Und für den bekomme ich im Bundesrat wahrscheinlich auch eine Mehrheit.

Die Polizei will die Moscheen in die Prävention einbeziehen. Man erhofft sich, dass die Geistlichen einen Zugang zu jugendlichen Straftätern finden.

Innensenator Körting will diejenigen einbeziehen, die wenigstens zu den Eltern von problematischen Jugendlichen Kontakt haben. Ich denke, jeder Zugang sollte genutzt werden. Ich habe aber meine Zweifel, ob gerade ein Imam der geeignete Vermittler wäre. Warum sollte sich ein Mehrfachtäter, der nie zur Schule, dafür aber auf Raubzüge geht, von einem Geistlichen etwas sagen lassen?

Was halten Sie davon, ausländische jugendliche Straftäter abzuschieben?

Wenn die Gesetze das hergeben, sollte man die Möglichkeit nutzen. Aber in Deutschland entstandene Probleme müssen in Deutschland gelöst werden.

Also halten Sie davon eher nichts?

Es wird ja auch kaum einer abgeschoben. Es liegen Welten zwischen der Verlautbarung und deren Umsetzung.

Im letzten Jahr gab es in der Berliner Justiz einen Generationswechsel. Sie hatten angekündigt, die frei werdenden Führungsstellen zu mindestens fünfzig Prozent mit Frauen zu besetzen.

Ich bin froh, dass mir das nahezu flächendeckend gelungen ist. Verwaltungs-, Sozial- und Kammergericht haben Präsidentinnen. Das Landgericht hat einen Präsidenten, einen Vizepräsidenten und zwei Vizepräsidentinnen. Sechs der zwölf Amtsgerichte werden von Präsidentinnen geleitet, ebenso die Amtsanwaltschaft. Allein bei der Staatsanwaltschaft ist nur eine der drei Führungspositionen mit einer Frau besetzt worden.

Woran hapert es?

Bei der Staatsanwaltschaft ist das Thema jahrelang vernachlässigt worden. Wir haben aber jetzt ein Personalentwicklungskonzept, das unter anderem vorsieht, Frauen verstärkt zu Abteilungsleiterinnen zu machen.

Sie haben bei der Justizreform die großen Teile geschafft: Computer gehören zum Standard. Die Amtsgerichte haben eigene Präsidenten und Haushalte. Was kommt noch?

Jetzt kommt die Feinabstimmung: Controlling und Kosten-Leistungsrechnung flächendeckend in der gesamten Justiz. Dann wissen wir genau, was jedes einzelne Produkt der Justiz kostet und welches Gericht wie wirtschaftlich arbeitet. Wir machen mit Brandenburg ein einheitliches Personalprofil für jede Stelle. Wir haben ein System, dass es jedem, auch der Schreibkraft, möglich macht, zu rotieren. Wir haben jetzt Durchlässigkeit zwischen Staatsanwaltschaft und Richterschaft. Das war früher undenkbar.

Wo steht Berlin im Vergleich?

Wir sind, was die Modernität anbelangt, vom untersten Zehntel mit an die Spitze gekommen.

Sie hatten während Ihrer Amtszeit mit dem Bankenskandal zu tun. Leidet in Anbetracht der enormen Dauer der Verfahren die Glaubwürdigkeit?

Ich denke, man erwartet zu viel von der Justiz. Zwei Beispiele: Das erste war der Versuch, das gesamte staatliche Handeln der DDR rechtlich aufzuarbeiten. Das war typisch deutsch. Und es hat nicht zur Befriedung von Opfern und Tätern geführt – wie das etwa die Wahrheitskommission in Südafrika geschafft hat. Das zweite Beispiel ist der Bankenskandal: Ein Bankensystem wollte in übergroßer Risikobereitschaft eine Goldgräberzeit nutzen, um maximalen Gewinn zu machen. Die üblichen banktechnischen und -moralischen Gesichtspunkte galten nicht mehr. Das hat es in dem Ausmaß nie gegeben. Und es war nur möglich in den Nachwendezeiten. Nun ist – mit großen Aufwand – die Aufarbeitung teilweise gelungen. Jetzt ist jede Bank vor übermäßig risikobereiten Geschäften gewarnt und weiß: Sie kann belangt werden.

Worauf sind Sie denn in dieser Legislaturperiode besonders stolz?

Dass wir es geschafft haben, trotz weniger Personal Leistungseinbußen zu vermeiden. Die Arbeit in der Justiz ist attraktiver und effektiver geworden – bei sinkender Mitarbeiterzahl. Vor zehn Jahren haben noch 12 700 Menschen für die Justiz gearbeitet, jetzt sind es 1100 weniger.

Bleiben Sie Berlin als Senatorin erhalten?

Das entscheiden die Wähler, die Abgeordneten und der Regierende Bürgermeister. In den letzten vier Jahren haben wir die Aufholjagd geschafft, jetzt will ich, dass Berlin bei der Justiz eine Vorreiterrolle übernimmt.

Das Gespräch führten Katja Füchsel und Werner van Bebber.

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