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Berlin: Härte allein reicht nicht

London macht mit Sonderregeln gegen unsoziales Verhalten mobil. Ein schlagzeilenträchtiger Witz?

Was denken Sie, wenn ein betrunkener Verrückter Sie nachts auf der Straße beleidigt oder an Ihrem Auto die Frontscheibe einwirft? Würden Sie ihn fragen: „Welcher soziale Umstand hat dazu geführt, dass Sie sich so aufführen?“ Natürlich nicht. Wahrscheinlicher ist, dass Sie sagen: Bestraft den Typ, zur Abschreckung, damit andere es nicht ebenso machen.

So haben wir uns in Großbritannien vor ein paar Jahren verhalten, als wir immer wieder mit einer Art Kleinkriminalität konfrontiert wurden, wir nennen es „antisoziales Verhalten“. Seit Tony Blair 1997 gewählt wurde, ist er ein großer Anhänger der „Bestraft-sie-hart“-Fraktion geworden. Aber die britische Regierung ist gescheitert bei dem Versuch, die Kriminellen „auszuräuchern“. Diebe, Drogendealer und Randalierer machen die Innenstädte, vor allem in den ärmeren Vierteln, immer noch unsicher.

Am bezeichnendsten war Blairs Versuch, antisoziales Verhalten mit den sogenannten Asbo-Verordnungen (anti-social-behaviour-order) zu bekämpfen. Danach können Zivilgerichte Auflagen für Tunichtgute erlassen, wonach die sich nur noch in bestimmten Vierteln und zu bestimmten Zeiten aufhalten dürfen. Wer er sich nicht daran hält, wandert ins Gefängnis. Zwischen April 1999 und Juni 2005 wurden 6497 Asbos verhängt, 43 Prozent gegen Jugendliche zwischen zehn und 17 Jahren. Die Asbos haben auch Blair persönlich sehr gut getan, weil er sich damit viele Freunde bei den Boulevardzeitungen gemacht hat. Nicht zu vergessen den Erfolg, den er damit bei Londons Polizeichef Ian Blair hatte, der diese Verordnungen gerade erst im Tagesspiegel noch einmal gepriesen hat. Aber wenn man an der Oberfläche kratzt, wird immer fraglicher, ob diese Regelungen langfristig Jugendliche bewegen, sich anders zu verhalten. Zu Beginn des Monats berichtete die Jugendgerichtshilfe, dass Asbo-Strafen bei Jugendlichen mittlerweile als Auszeichnung gelten. Eine dreifache Mutter sagt, sie kenne Jungs, die alles tun, um auch verurteilt zu werden, damit sie endlich wieder dazugehören.

Die Verordnungen waren nicht mehr als ein „Schlagzeilen machender Witz“, sagte David Davis, der innenpolitische Sprecher der Konservativen, nach der Veröffentlichung des Berichts. Dass die Verordnungen die Kriminalität sogar noch steigern können, darauf lassen Zahlen des Innenministeriums schließen: Täglich gehen bei der britischen Polizei 66 000 Anzeigen wegen antisozialen Verhaltens ein. Und nach jüngsten Umfragen denken nur vier von zehn Briten, dass die Asbo-Verordnungen sinnvoll sind.

Anstatt nach immer neuen Bestrafungsmethoden zu suchen, sollte die Regierung sich überlegen, wie sie die wachsende Armut der Unterschicht bekämpft oder gegen das beliebte Kampftrinken vorgeht. Der hohe Alkoholkonsum vieler Jugendlicher, besonders freitag- und samstagabends, ist der Hauptgrund für antisoziales Verhalten. „Es gibt eine Tendenz, nur nach den einfachen Lösungen zu suchen, die aber nur an der Oberfläche etwas verändern. Antisoziales Verhalten ist aber ein sehr komplexes Netz“, hieß es beim National Children’s Home, einer Wohltätigkeitsorganisation. Armut ist ein großes Problem in Großbritannien – obwohl die soziale Kluft zwischen Arm und Reich in den vergangenen Jahren etwas kleiner geworden ist. Es gibt immer noch einen Mix aus Arbeiterfamilien und Migrantenfamilien, die in verwahrlosten Vierteln mit hoher Kriminalität leben, wo es weder Parks noch Sportmöglichkeiten für die Jugendlichen gibt, geschweige denn eine Zukunftsperspektive oder Vorbilder.

Der Autor ist als politischer Korrespondent in London tätig.

David Byers

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