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Berlin: Häuser evakuiert: Böse Erinnerungen bei den Älteren In einem Köpenicker Klassenzimmer warteten Anwohner auf die erlösende Nachricht – und sprachen über den Krieg

Von Steffi Bey Keine Spaziergänger, keine spielenden Kinder, keine Autos. Dafür überall weit geöffnete Fenster und rot-weiße Absperrbänder.

Von Steffi Bey

Keine Spaziergänger, keine spielenden Kinder, keine Autos. Dafür überall weit geöffnete Fenster und rot-weiße Absperrbänder. Das Köpenicker Siedlungsgebiet an der Mittelheide wirkte gestern Vormittag wie ausgestorben. Nur ab und zu durchbrach ein Flugzeug die Stille. Bombenalarm. Die Polizei bestimmte gestern weitgehend den Tagesablauf der etwa 1200 Anwohner.

Bis 8 Uhr mussten sie ihre Wohnungen verlassen. „Das ist für mich ganz normal, ich gehe arbeiten“, sagte eine junge Frau. Ihre Tochter hatte sich sogar auf Freitag gefreut: Der Unterricht fiel aus. Die Schule an der Uhlenhorster Straße steht am Vormittag den Anwohnern zur Verfügung. Doch nur etwa 15 ältere Menschen verbringen einige Stunden in einem Klassenzimmer.

Nachdenklich, fast ängstlich umklammert eine grauhaarige Dame ihre Handtasche. Reden möchte sie nicht, sagt sie und schließt den obersten Knopf ihres Mantels. Auch der Herr am Nachbartisch wirkt verunsichert. „Ich hoffe, dass das hier schnell vorüber geht und wir wieder in unsere Wohnungen können“, sagt er leise. Eine Frau gegenüber nickt zustimmend. Und dann erzählt Bernd Sobol, dass er fast täglich mit dem Fahrrad durch die Mittelheide fährt und eigentlich noch nie Angst hatte. „Aber jetzt werde ich mit gemischten Gefühlen durch den Wald radeln, man weiß ja nicht, was dort noch alles rumliegt.“

Am Nebentisch wird sich inzwischen lebhaft unterhalten. „In diesen Tagen kommen wieder so viele Erinnerungen an den Krieg hoch“, sagt eine 79-jährige Köpenickerin. Wenn sie nun daran denkt, dass später ihre Kinder in dem Wald gespielt haben, wo jetzt die Luftmine entdeckt wurde, wird ihr ganz übel, sagt sie. Erich Holst will dagegen nichts mehr von den „alten Geschichten“ hören. „Den Krieg habe ich bewusst vergessen“, betont der 91-Jährige und vertieft sich wieder in seine Zeitung.

Inzwischen sind belegte Brötchen eingetroffen und Sozialarbeiterin Brigitte Löschner reicht den Wartenden das Essen. Sie setzt sich mit an einen Tisch und hört einfach nur zu. Auch auf dem Schulhof wird gewartet: Anwohner sitzen auf Bänken, Polizeiautos und Rote-Kreuz-Fahrzeuge stehen wie angefädelt nebeneinander. Einige junge Leute von der Schnellen Einsatz Gruppe (SEG) gönnen sich eine Raucherpause. Sie haben am Morgen Kranke und Behinderte vorübergehend in ein naheliegendes Pflegeheim gebracht.

Inge und Erich Wolf aus dem Däumlingsweg wollen Bummeln gehen, nicht „den bedrückenden Gedanken nachgehen“, sagt die 79-Jährige Köpenickerin. In den letzten Tagen hatte sie wieder viele Kriegsbilder vor Augen. Inge Wolf hat ein paar wichtige Sachen in ihren Beutel gepackt: Den Ausweis, die Versicherungspolice, das Handy und ihre Lieblingsbluse. Ihr Mann hält das für ein bisschen übertrieben. „Aber so fühlt sich meine Frau eben besser“, sagt er lächelnd. Kurz nach 12 Uhr tauchen die ersten Kinder an der Schule auf. Ihr Wandertag ist zu Ende und nun wollen sie „auf den Knall warten“, wie ein Achtjähriger sagt. Aber dazu kommt es nicht. Stattdessen gab es um 12.10 Uhr die erlösende Nachricht: „Luftmine erfolgreich entschärft.“

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