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Berlin: Haftschäden

Michael Mara über die Eigendynamik des Gefängnisskandals

Hat Justizministerin Barbara Richstein (CDU) ihr Ressort noch im Griff? Seit Tagen gärt der GefängnisSkandal: Es geht um die berüchtigte Justizvollzugsanstalt Brandenburg/Havel, um Misshandlungen, unterlassene Hilfeleistung, einen mysteriösen Waffenfund. Richstein reagiert mit Suspendierungen, Disziplinarverfahren, Versetzungen, Überprüfungen: Bis zehn Jahre zurückliegende Strafanzeigen von Häftlingen gegen Vollzugsbeamte, Suizide und sonstige Todesfälle werden erneut untersucht. Mit ihrem rigorosen Aktionismus nährt die 38-jährige Ministerin den Eindruck, dass die Probleme in der JVA bisher unterschätzt wurden. Wieso merkt sie erst jetzt, dass der nun abgesetzte Anstaltsleiter überfordert war? Wie kam es zu der Fehleinschätzung Richsteins im Januar vor dem Rechtsausschuss des Landtages, dass in der JVA „keine speziellen Probleme erkennbar sind“? Die jetzige Generalüberprüfung hätte eher erfolgen können und wohl auch müssen.

Dennoch ist bei den Angriffen, denen sich Richstein ausgesetzt sieht, viel Scheinheiligkeit im Spiel. Wenn PDS, Grüne, FDP und selbst der Koalitionspartner SPD ihr Verharmlosung, Vertuschung, Versagen vorwerfen, haben sie natürlich die Landtagswahl in vier Monaten im Blick. Die SPD hat nicht vergessen, dass die Union 1999 nach spektakulären Gefängnisausbrüchen unter dem damaligen Justizminister Hans-Otto Bräutigam mit der Forderung „Schluss mit dem Reisebüro Bräutigam“ im Wahlkampf punktete. So möchte man den Gefängnis-Skandal am Köcheln halten.

Aber problematischer als der wahlpolitische Gegenwind dürfte für Richstein die Kritik aus den eigenen Reihen sein. Der Gesamtstaatsanwaltsrat hat ihr vorgeworfen, die Zusammenarbeit zu gefährden. Die Ministerin hatte zuvor öffentlich die Staatsanwaltschaft gerügt, weil diese sie erst am 30. April über die im Februar erstattete Strafanzeige jenes Häftlings informierte, dem bei einem Herzinfarkt ärztliche Hilfe verweigert wurde. CDU-Innenminister Jörg Schönbohm heizte den Konflikt an, als er die Staatsanwaltschaft wie bei der V-Mann-Affäre als Quelle von Indiskretion aus der JVA nannte. Prompt verwahrte sich Generalstaatsanwalt Erardo Rautenberg gegen die Verdächtigungen. Jetzt fordert die CDU, dass er sein Amt abgibt. Ein Schlagabtausch, der dem Ansehen der Institutionen und Richsteins schadet. Teile der Justiz sind ohnehin nicht gut auf die Ministerin zu sprechen, weil sie in der Trennungsgeld-Affäre um den Missbrauch von Steuergeldern ohne Ansehen der Person durchgriff. Hohe Justizbeamte drohen darüber zu stolpern oder sind es schon. Die Überprüfung eingestellter Verfahren schafft neue Unruhe. Richstein muss aufpassen, dass ihr beim von Wahlkampfgetöse begleiteten großen Aufräumen die Justiz nicht entgleitet.

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