zum Hauptinhalt

Berlin: Handwerker gegen Stillstand – Verkehr brach zusammen

7000 protestierten gegen zu viel Bürokratie und hohe Nebenkosten. Im Stadtzentrum war kein Durchkommen

Der Bauarbeiter flucht. Nirgends, wirklich nirgends komme er mit seinem Kleinlaster durch in Richtung Bahnhof Friedrichstraße. Dabei müsse er doch Baustoffe liefern, damit die Kollegen weiter arbeiten können. Die Hauptwachtmeisterin auf der Kreuzung Friedrichstraße/Kochstraße hat mit dem Bärtigen kein Einsehen, winkt ihn zurück in die Leipziger Straße: „Probieren Sie’s woanders. Ich würde Sie nur ins Chaos schicken.“

Gegen 11.20 Uhr haben demonstrierende Handwerker und Mittelständler aus ganz Deutschland den Verkehr in der City Ost lahm gelegt: Friedrichstraße dicht, Wilhelmstraße dicht, Mauerstraße dicht. Weiter östlich in Richtung Prenzlauer Berg sieht’s nicht besser aus. Dabei demonstrierte am Montag morgen das „Handwerk gegen Stillstand“. Etwa 7000 Protestierer und mit ihnen rund 1500 dauerhupende Kleinlaster bewegten sich am Morgen im Schneckentempo von der Auftaktkundgebung am Gendarmenmarkt zur Abschlussveranstaltung im Kreuzberger Tempodrom. Stillstand auf den Straßen. Nichts ging mehr.

Die Demonstranten machen derweil ihrem Unmut über zu hohe Lohnnebenkosten, die miese Zahlungsmoral im allgemeinen und zu viel Bürokratie mit gellenden Pfeifkonzerten Luft. Metzger, Glaser, Steinmetze und Metallbauer aus der ganzen Republik blasen zum Angriff auf die Bundesregierung. Ein Transparent „Schluss mit der handwerksfeindlichen Politik von Rot-Grün – weg mit der Ökosteuer“ tragen Handwerker aus Sachsen über sich her – gleich dahinter wird ein Schild mit der Aufschrift „Der Genosse der Bosse treibt das Handwerk in die Gosse“ in die Höhe gehoben.

Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD) bekam den Ärger der Handwerker voll ab: Während der Abschlussveranstaltung wurde er minutenlang ausgepfiffen. Clement betonte gleichwohl, dass der Mittelstand allein durch die Steuerreform 2004 und 2005 um „mindestens 15 Milliarden Euro“ entlastet werde. Zudem wehrte er sich gegen den Vorwurf, die Politik kümmere sich nur um die Großkonzerne und nicht um die kleinen Unternehmer.

Ilse Ignaszewski aus Bohnsdorf beeindruckt dies wenig. Sie ging zuletzt 1989 auf die Straße, um gegen die politischen Verhältnisse in der DDR zu demonstrieren. Heute geht es um anderes: „Ich protestiere gegen die Hürden, die die Regierung dem Handwerk in den Weg stellt.“ Vor allem die enorm gestiegenen Sozialabgaben für die vier Mitarbeiter der Firma für Metall-Restaurierung machen der 55-jährigen Frau von Inhaber Georg Ignaszewski zu schaffen. „Wir sind gelähmt von der Bürokratie, die uns der Staat aufbürdet. Das muss viel besser werden.“ Der Adressat ihres Protests ist allerdings nicht nur die Bundesregierung: Auch die Zahlungsmoral im allgemeinen müsse sich deutlich verbessern.“

Der Fleischermeister Jörg Oppen aus Weißensee marschiert mit, weil er den Kündigungsschutz gelockert sehen will. „Ich kann niemanden für ein paar Monate einstellen, wenn mal Produktionsspitzen sind. Den Mann kriege ich doch anschließend nicht mehr los.“ Außerdem habe ihn die Euro-Umstellung fast ein Viertel seines Umsatzes gekostet. Generell, so Metzger Oppen, müssten die Lohnnebenkosten runter und die Gewerkschaften abgeschafft werden. Dann sähe es wieder besser aus im deutschen Handwerk.

Als die Abschlusskundgebung im Tempodrom längst läuft, sitzt Polizeisprecher Wolfgang Dietz entspannt in seinem Pressebus vor der Halle. Ja, es sei mal wieder eng geworden mit dem Verkehr in Mitte und Kreuzberg. „Aber in einer Stunde läuft’s hier wieder wie gewohnt.“ Die Berliner haben sich offenbar auf das Verkehrschaos in Mitte frühzeitig eingestellt.

Heiko Wiegand

Zur Startseite