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Berlin: Hans J. Helwig-Wilson (Geb. 1931)

Allzu realistisch, seine Fotos vom sozialistischen Aufbau.

Hans-Joachim Helwig-Wilson erzählt ahnungslosen Besuchern: Das gab es auch, Verhöre Tag und Nacht, absurde Anschuldigungen, Einzelhaft, Dunkelzelle, Faustschläge. Er zeigt eine Zelle, die Holzpritsche, den Holzhocker, den Holztisch. Das Loch in der Stahltür, hier blickten die Angestellten des Staates durch. Seine Finger sind gekrümmt und steif, er braucht einen Gehstock, sein rechtes Bein ist gelähmt. Sichtbare Male der Haft. Noch nach Jahrzehnten.

Zu 13 Jahren Zuchthaus in der DDR wurde Hans-Joachim Helwig-Wilson verurteilt. Offizielle Begründung: Spionage und staatsfeindliche Hetze.

Seit 1958 hatte er als Bildjournalist für eine britische Presseagentur gearbeitet, Schwerpunkt: Ost-Berlin und die DDR. Er fotografierte Parolen auf Plakaten, Aufmärsche mit trompetenden Kindern und Fahnen schwenkenden Erwachsenen, eine Trümmerfrau vorm Trümmerhaufen, an der Brandmauer neben ihr Bilder von Ulbricht und Stoph. Seine Fotos erschienen in 90 verschiedenen Zeitungen. Die Staatssicherheit wurde unruhig: Eine allzu realistische Berichterstattung über den sozialistischen Aufbau.

Im August 1961 dokumentierte er den Bau der Mauer: Menschen auf der Straße des 17. Juni hinter einer Absperrung, davor Polizisten; das Brandenburger Tor und ein Grenzschild: Sie verlassen jetzt West-Berlin; die öde Friedrichstraße. Den DDR-Funktionären war Helwig-Wilsons Reporterblick zu unverhüllt. Dabei bildete er doch nur ab, was vor aller Augen geschah.

Man lockte ihn in den Osten; die Entführung westlicher Journalisten war eine bewährte Methode. Ein wenig naiv muss Helwig-Wilson gewesen sein, dem Gesprächsangebot des „Neuen Deutschland“ zu folgen: Wollen wir uns nicht mal über Ihre Arbeit unterhalten? Vielleicht hätten wir einen Auftrag für Sie. Die Mauer war gerade errichtet worden – mehr als eine unglaubliche Episode des Kalten Krieges kann diese Teilung nicht sein, mag er gedacht haben. Das Staatsfeindliche seiner Fotos aber war ihm wahrscheinlich nicht bewusst. Also fuhr er rüber.

Und wurde am 28. August 1961 am Werderschen Markt verhaftet. Verschwand vier Monate im Untersuchungsgefängnis des Ministeriums für Staatssicherheit in Hohenschönhausen.

Er kooperierte nicht während der Verhöre, zeigte sich „widerständig“, wie es in der Stasisprache hieß. Erkrankte schwer. Wurde als Simulant beschimpft. Erhielt Injektionen, die sein rechtes Bein und seine Finger lähmten. Bekam Tuberkulose. Lag in verschiedenen Krankenhäusern. Und gab nicht nach. Im Februar 1962 verurteilte ihn das Bezirksgericht Frankfurt /Oder: 13 Jahre für die falschen Fotos.

1965 kaufte ihn die Bundesrepublik mit Hilfe von Wolfgang Vogel, dem Juristen für Ost-West-Angelegenheiten, frei. Er arbeitete wieder als Journalist, jetzt in der Presseabteilung des Senats, und im Vorstand des Arbeitskreises ehemaliger politischer Häftlinge der SBZ /DDR in der SPD. Die Stasi beobachtete ihn weiter.

1990 wurde das Gefängnis in Hohenschönhausen geschlossen, 1992 kamen Pläne auf, es in eine normale Haftanstalt umzuwandeln. Helwig-Wilson und andere ehemalige Insassen widersetzten sich. 1994 entstand die Gedenkstätte. Helwig-Wilsons Aufnahmen erschienen in dem Buch „Der staatsfeindliche Blick. Fotos aus der DDR“.

250 000 Besucher kommen in jedem Jahr in das einstige Stasi-Gefängnis, etwa die Hälfte sind Schüler und Studenten. Menschen, die hier gesessen haben, erzählen. Hans-Joachim Helwig-Wilson war einer von ihnen. Tatjana Wulfert

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